Das Schwert des Liktors
Kritiker wegen ihrer Symbolhaftigkeit gern verlachen. Doch wer hätte sagen können, was es bedeutete? Es ist meiner Meinung nach ausgeschlossen, daß alle Symbole, die wir in natürlichen Landschaften sehen, nur vorhanden sind, weil wir sie sehen. Niemand zögert, die Solipsisten als verrückt hinzustellen, die überzeugt sind, die Welt existiert nur, weil sie sie sähen, und Bauten, Berge und gar wir selbst (zu denen sie noch vor einem Moment gesprochen) verschwänden, sobald sie das Gesicht abkehrten. Ist es nicht ebenso verrückt zu glauben, die Bedeutung dieser Dinge vergehe auf dieselbe Weise? Falls Thecla die Liebe, derer ich mich unwürdig gefühlt habe, symbolisch aufgefaßt hat, was der Fall gewesen ist, wie ich nun weiß, ist dann ihre symbolische Kraft verschwunden, wenn ich die Zellentür hinter mir geschlossen habe? Das wäre, als würde man sagen, daß der Text dieses Buches, dem ich mich in so vielen Wachen gewidmet habe, sich in zinnoberrote Kleckse auflöste, wenn ich es zum letzten Mal schlösse, um es der zeitlosen Bibliothek des alten Ultan anzuvertrauen.
Die große Frage also, über die ich nachsann, während ich die treibende Insel mit sehnsüchtigem Blick betrachtete und mich an den Fesseln wundrieb und den Hetman in meinem Herzen verfluchte, wäre zu bestimmen, was diese Symbole an und in sich bedeuteten. Wir sind die Kinder, die eine gedruckte Seite ansehen und im vorletzten Buchstaben einen Drachen, im letzten ein Schwert erkennen.
Was für eine Botschaft mir diese kleine, trauliche Hütte und ihr grünes Gärtchen, zwischen zwei unendlichen Räumen schwebend, vermitteln sollte, das weiß ich nicht. Aber die Botschaft, die ich hineinlas, war eine von Freiheit und Heimat, und ich spürte nun eine stärkere Sehnsucht nach Freiheit, nach der Möglichkeit, die oberen und unteren Welten, mit dem Nötigsten gerüstet, ungehemmt zu durchstreifen, denn je zuvor – stärker gar als während meiner Haft im Vorzimmer des Hauses Absolut, stärker gar als in meiner Zeit als Klient der Folterer in der Alten Zitadelle.
Als mein Freiheitsverlangen am höchsten war und uns unser Kurs am dichtesten an die Insel heranführte, traten zwei Männer und ein etwa fünfzehnjähriger Knabe aus der Hütte. Sie blieben kurz vor ihrer Tür stehen und blickten herüber, als wollten sie Boot und Besatzung abschätzen. Es waren neben dem Hetman fünf Dörfler an Bord, und es lag auf der Hand, daß sie gegen uns nichts ausrichten könnten, dennoch setzten sie uns in ihrem schmalen Gefährt nach; während die Männer ruderten, zog der Knabe ein plumpes Segel aus Mattengeflecht auf.
Der Hetman, der sich von Zeit zu Zeit nach ihnen umblickte, saß mit Terminus Est auf dem Schoß neben mir. Ich glaubte, er würde mein Schwert im nächsten Moment abstellen und, um sich zu besprechen, achtern zum Mann an der Ruderpinne oder nach vorne zu den vier anderen am Bug gehen. Meine Hände waren am Bauch gefesselt, so daß ich binnen eines Augenblicks die Klinge ein daumenbreites Stück aus der Scheide hätte ziehen und die Schnüre durchschneiden können, aber es bot sich mir keine Gelegenheit dazu.
Eine zweite Insel kam in Sicht, und ein weiteres Boot, das mit zwei Männern besetzt war, schloß sich uns an. Das verringerte unseren zahlenmäßigen Vorteil, und schon rief der Hetman einen seiner Dörfler zu sich und ging mit ihm, mein Schwert bei sich tragend, ein paar Schritte nach achtern. Sodann öffneten sie einen Blechkanister, der unter dem Platz des Steuermanns verwahrt worden war, und entnahmen ihm eine Waffe, wie ich sie noch nie gesehen hatte, einen Bogen aus zwei Ruten mit jeweils eigener Sehne, die mit einer halben Spanne langen Querhölzern zusammengebunden waren. Die Sehnen waren in der Mitte gleichfalls verknüpft, so daß dort eine Schlinge für ein Geschoß vorhanden war.
Während ich dieses seltsame Gerät betrachtete, rückte Pia näher zu mir. »Sie beobachten mich«, flüsterte sie. »Ich kann Eure Fesseln jetzt nicht lösen. Aber vielleicht …« Sie warf einen vielsagenden Blick auf die Boote, die uns folgten.
»Greifen sie uns an?«
»Erst wenn sie mehr sind. Sie haben nur Fischspeere und Pachos.« Als sie sah, daß ich nicht verstand, fügte sie hinzu: »Stöcke mit Zähnen – einer dieser Männer hat auch einen.«
Der Dörfler, den der Hetman herbeigerufen hatte, holte ein mit weichem Tuch eingeschlagenes Bündel aus der Büchse. Er faltete das Päckchen im offenen Deckel auseinander, so daß mehrere
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