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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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und Messer erwerben konnten. Als der nächste Markt kam, sahen wir, daß die Leute vom Ufer wußten, wohin ihre Kinder und ihr Vieh verschwunden waren, und es einander zuraunten. Sodann fragten wir, warum sie nicht zur Burg zögen und sie im Sturm nähmen, denn sie seien viele. Aber statt dessen raubten sie unsere Kinder und Männer und Frauen jeden Alters und ketteten sie vor ihre Türen, auf daß die Ihren nicht geraubt würden – oder führten sie gar zu den Toren und banden sie dort fest.«
    Ich erkundigte mich, wie lange das so gegangen sei.
    »Jahrelang – seit meiner Jugend schon, wie ich bereits gesagt. Manchmal kämpften sie, meistens jedoch nicht. Zweimal kamen Krieger aus dem Süden, entsandt von den stolzen Leuten, die in den großen Häusern des Südufers wohnen. Solange diese hier waren, ruhten die Waffen, aber was in der Burg ausgehandelt wurde, das weiß ich nicht. Der Erbauer, von dem ich erzählte, wurde von keinem mehr gesehen nach der Vollendung seiner Burg.«
    Er wartete darauf, daß ich etwas sagte. Ich hatte das Gefühl (das ich oft habe, wenn ich mit alten Menschen spreche), daß die Worte, die er äußerte, und die Worte, die ich hörte, sich ziemlich unterschieden, daß hinter seiner Sprache eine Reihe von Hinweisen, Andeutungen und stillschweigenden Folgerungen steckten, die für mich unsichtbar waren wie sein Atmen, als wäre die Zeit eine Art ergrauter Geist, der zwischen uns stünde und mit seinen flatternden Ärmeln auswischte, was ich zum Großteil gar nicht vernahm. Schließlich meinte ich: »Vielleicht ist er tot.«
    »Ein böser Riese haust dort, aber keiner hat ihn je gesehen.«
    Ich konnte mir ein Lächeln kaum verkneifen. »Trotzdem hält, wie ich meine, seine Anwesenheit die Leute vom Ufer davon ab, die Burg anzugreifen.«
    »Vor fünf Jahren fielen sie eines Nachts darüber her wie das Ungeziefer über einen Leichnam. Sie brannten die Burg nieder und erschlugen alle, die sie dort vorfanden.«
    »Und nun führen sie den Krieg aus reiner Gewohnheit fort?«
    Llibio schüttelte den Kopf. »Nach der diesjährigen Eisschmelze kehrten die Burgherren zurück. Sie kamen nicht mit leeren Händen und verteilten Reichtümer, so auch die wunderlichen Waffen, die du gegen die Leute vom Ufer gewendet hast. Es kamen auch noch andere, aber ob als Herren oder Diener, das wissen wir vom See nicht.«
    »Vom Norden oder Süden?«
    »Vom Himmel«, sagte er und deutete hinauf zu den Sternen, die, von der Pracht der Sonne gebleicht, am Firmament standen; indes glaubte ich, er habe nur gemeint, die Besucher seien in Fliegern gekommen, und fragte nicht weiter.
    Den ganzen Tag lang trafen neue Seebewohner ein. Viele befuhren die gleichen Boote, womit das Schiff des Hetmans verfolgt worden war; andere segelten gar mit ihren Inseln heran, bis Llibios Eiland schier von einem schwimmenden Kontinent umgeben war. Ich wurde nicht direkt gebeten, sie gegen die Burg zu führen. Doch im Laufe des Tages wurde mir bald klar, daß sie’s von mir erwarteten, und wurde auch ihnen klar, daß ich dazu bereit sei. In Büchern wird so etwas üblicherweise wohl durch feurige Reden bewerkstelligt; die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus. Sie bewunderten meinen hohen Wuchs und mein Schwert, und Pia hatte ihnen kundgetan, ich sei ein Vertreter des Autarchen und entsandt, sie von ihrem Joch zu befreien. Llibio sagte: »Obschon wir’s sind, die am meisten zu leiden haben, haben die Leute vom Ufer die Burg schon einmal in ihre Gewalt gebracht. Sie sind stärkere Krieger als wir, aber nicht alles, was sie niederbrannten, wurde wieder aufgebaut, und sie hatten keinen Führer aus dem Süden.« Ich erkundigte mich bei ihm und anderen über die Lage der Burg und erklärte ihnen, wir würden erst im Schutze der Nacht angreifen, wenn die Posten auf den Zinnen unseren Vorstoß nicht so leicht entdecken könnten. Obgleich ich nichts davon erwähnte, wollte ich auch deshalb auf die Dunkelheit warten, weil dann gezieltes Schießen unmöglich wäre; wenn der Burgherr dem Hetman die Feuerkugeln überlassen hatte, hatte er höchstwahrscheinlich viel mächtigere Waffen für sich behalten.
    Als wir die Segel setzten, führte ich an die hundert Krieger an, obgleich sie zumeist nur mit Speeren, die Spitzen aus dem Schulterbein von Robben hatten, mit Pachos oder Messern bewaffnet waren. Mit stolzgeschwellter Brust könnte ich nun schreiben, ich hätte mich aus einem Gefühl der Verantwortung und Sorge um ihr Los bereitgefunden, diese kleine

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