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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Armee ins Feld zu führen, aber das wäre nicht wahr. Ich ging diesen Gang auch nicht aus Furcht vor dem, was mir widerführe, falls ich mich weigerte, obgleich ich ahnte, daß es mir, hätte ich’s nicht diplomatisch angestellt und auf Abwarten gedrängt oder den Eiländern den Vorteil einer Waffenruhe vor Augen geführt, schlimm ergangen wäre.
    Die Wahrheit war, ich fühlte mich dazu genötigt, und zwar stärker als sie. Llibio trug um den Hals einen Fisch, der aus einem Zahn geformt war; als ich ihn fragte, was das sei, sagte er, das sei Oannes, und bedeckte ihm mit der Hand, auf daß meine Augen ihn nicht entweihten, wußte er doch, daß ich nicht an Oannes glaubte, der sicherlich der Fischgott dieser Leute war.
    Ich glaubte nicht an ihn, dennoch war mir, als wüßte ich alles von Bedeutung über ihn. Ich wußte, er müsse in den finstersten Tiefen dieses Sees weilen, zeige sich aber, bei Sturm zwischen den Wellen reitend. Ich wußte, er war für sie der Hüter der Tiefe, der die Netze der Eiländer füllte, und daß kein Mörder sich furchtlos aufs Wasser wagen konnte, auf daß nicht Oannes mit Augen, groß wie Monde, längsseits auftauchte und das Boot kenterte.
    Ich glaubte nicht an Oannes und fürchtete ihn nicht. Aber ich glaubte zu wissen, woher er kam – ich weiß, es gibt eine alles durchdringende Macht im Universum, wovon alles andere nur ein Schatten ist. Ich wußte, daß mein Begriff von dieser Macht letztendlich genauso lächerlich (und ernst) wie Oannes war. Ich wußte, die Klaue gehörte ihr, und ich glaubte, nur durch die Klaue dieses Wissen zu haben, nur durch die Klaue von all den Altären und Heiligtümern dieser Welt. Ich hatte sie oft in meinen Händen gehalten, sie in den Vincula über den Kopf erhoben, den Ulanen des Autarchen damit berührt und das kranke Mädchen in der Hütte zu Thrax. Ich hatte Unendlichkeit besessen und ihre Macht gebraucht; ich war mir nicht mehr sicher, ob ich sie den Pelerinen brav zurückgeben könnte, falls ich sie je fände, aber ich wußte mit Gewißheit, daß ich sie keinesfalls brav an jemand anders abträte.
    Zudem schien es mir, daß ich irgendwie zum Träger dieser Macht (wenn auch nur für kurze Zeit) erwählt sei. Sie war den Pelerinen verlorengegangen durch meinen Leichtsinn, womit ich Agia gestattete, unseren Kutscher zu einer Wettfahrt anzustacheln; also oblag es mir, sie zu bewahren, zu gebrauchen und vielleicht zurückzugeben, und oblag es mir insbesondere, sie unter allen Umständen aus den Händen, den monströsen Händen, zu erretten, in die sie durch meine Nachlässigkeit gefallen war.
    Ich hatte, als ich diese Geschichte meines Lebens begann, nicht beabsichtigt, eines der Geheimnisse unserer Zunft zu enthüllen, die mir von den Meistern Palaemon und Gurloes unmittelbar vor meiner Erhebung in den Gesellenstand am Tag der heiligen Katharina anvertraut worden waren. Aber ich will nun eins davon verraten, denn was ich in jener Nacht am See Diuturna getan habe, bliebe ohne Wissen darum unverständlich. Und das Geheimnis lautet, daß nur wir Folterer gehorsam sind. In der ganzen hohen Ordnung des Staatskörpers, der lebendigen Pyramide, ungleich höher als jeder gegenständliche Turm, höher als der Glockenturm, höher als die Mauer von Nessus, höher als Berg Typhon, der Pyramide, die vom Phönixthron des Autarchen zum niedrigsten Schreiberling reicht, der sich für den unehrenhaftesten Kaufmann schindet – einem gemeineren Geschöpf als dem gemeinsten Bettler –, sind wir der einzig gediegene Baustein. Keiner ist wahrlich gehorsam, ist er nicht bereit, in seinem Gehorsam das Unvorstellbare zu tun; keiner tut das Unvorstellbare außer uns.
    Wie könnte ich dem Increatus verweigern, was ich bereitwillig dem Autarchen gegeben, als ich Katharinens Haupt abgeschlagen?
     

 
Zur Burg
     
    Wir ließen die zurückbleibenden Inseln hinter uns, und obgleich zwischen uns die Boote fuhren und an jedem Baum die Segel gehißt waren, hatte ich das Gefühl, wir verharrten regungslos unter den ziehenden Wolken und unser Vorankommen sei nur die letzte Illusion eines sinkenden Landes.
    Viele der treibenden Inseln, die ich bisher zu Gesicht bekommen hatte, blieben als Zuflucht für Frauen und Kinder zurück. Ein halbes Dutzend fuhr mit uns, und ich stand auf der höchsten, die Llibio gehörte, der größten von allen sechs. Neben dem alten Mann und mir war sie mit sieben Kriegern besetzt. Die anderen Inseln waren jeweils mit vier oder fünf Mann bestückt.

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