Das Schwert des Liktors
daß ich meinen Mantel fester um mich raffte, obschon ich mir gewiß war, daß die täuschende Stille des Augenblicks nicht lange dauern könnte.
Der Riese meinte: »Es ist nicht schwer zu verstehen, warum ich mich zur Ruhe zwinge. Du hast erlebt, was passiert, wenn ich sie verliere. Sitzen die da und bestaunen mich, als wär’ ich ein Tanzbär an der Kette …«
Dr. Talos strich ihm über die Hände; etwas Weibliches hatte diese Geste an sich. »Es sind die Drüsen, Severian.
Das endokrine System und die Schilddrüse. Alles muß so sorgsam überwacht werden, oder er würde zu schnell wachsen. Und dann muß ich dafür sorgen, daß die Knochen unter der Belastung nicht brechen, und mich um tausend Dinge mehr kümmern.«
»Das Gehirn«, brummte der Riese. »Das Gehirn ist das Schlimmste von allem – und das Beste.«
Ich fragte: »Hat die Klaue dir geholfen? Wenn nicht, dann vielleicht in meiner Hand. Sie hat für mich in kürzester Zeit mehr vollbracht als für die Pelerinen in Jahren.«
Da Baldanders’ Miene verriet, daß er nicht verstand, erklärte Dr. Talos: »Er meint das Juwel, das die Fischer geschickt haben. Es bewirkt angeblich Wunderheilungen.«
Hierbei kehrte sich Ossipago uns schließlich wieder zu. »Wie interessant. Hast du’s hier? Dürfen wir’s sehn?«
Der Doktor blickte beklommen von der ausdruckslosen Maske des Cacogentilen zu Baldanders und wieder zurück, während er sagte: »Bitte, Euer Gnaden, es ist nichts. Bloß ein Stück Korund.«
In der ganzen Zeit seit meinem Eintritt in diese Kammer des Turms hatte sich keiner der Cacogens um mehr als eine Elle von der Stelle gerührt; nun schritt Ossipago mit watschelndem Gang vor meinen Stuhl. Ich muß vor ihm zurückgefahren sein, denn er versicherte: »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, obschon wir deinesgleichen gar viel antun. Mich interessiert diese Klaue, die der Homunkulus lediglich als Mineralprobe bezeichnet.«
Als ich dies aus seinem Mund vernahm, befürchtete ich, er und seine Gefährten ließen sich von Baldanders die Klaue aushändigen und nähmen sie mit heim über die Kluft, aber ich überlegte, dazu müßten sie ihn erst zwingen, sie herbeizuholen, wobei sich mir die Möglichkeit böte, wieder in ihren Besitz zu kommen, was mir anderweitig vielleicht nicht gelänge. Also erzählte ich Ossipago alles, was die Klaue in meinem Gewahrsam vollbracht hatte – vom Ulanen auf der Straße, von den Menschenaffen und allen anderen Zeichen ihrer Macht, wie an anderer Stelle bereits aufgeführt. Während ich sprach, verhärtete sich Baldanders’ Miene, und die des Doktors wurde, wie ich glaubte, immer beklommener.
Als ich geschlossen hatte, sagte Ossipago: »Und nun müssen wir das Wunder selbst sehen. Hol’s bitte her!« Baldanders stand auf und tappte durch das weite Zimmer, wobei all seine Maschinen um ihn zu bloßem Spielzeug zu schrumpfen schienen; schließlich öffnete er die Schublade eines Tischchens mit weißer Platte und entnahm die Klaue. Sie war in seinen Händen stumpfer, als ich sie je gesehen hatte; es hätte eine blaue Glasscherbe sein können.
Der Cacogentile ließ sie sich reichen und hielt sie in seinem bemalten Handschuh nach oben, obgleich er zum Betrachten nicht das Gesicht nach oben kehrte, wie es ein Mensch getan hätte. Dort traf sie das Licht der gelben Lampen, die von der Decke hingen, und funkelte in diesem Licht azurblau. »Sehr hübsch«, meinte er. »Und höchst interessant, obgleich es die zugeschriebenen Kunststücke nicht vollbracht haben kann.«
»Offensichtlich«, pflichtete Famulimus mit singender Stimme bei und vollführte abermals eine jener Gesten, die mich so stark an die Statuen im Garten des Autarchen erinnerten.
»Es gehört mir«, erklärte ich ihnen. »Die Dörfler haben es mir gewaltsam genommen. Kann ich’s wiederhaben?«
»Wenn’s dein ist«, sagte Barbatus, »woher hast du’s dann?«
Ich begann mit der langwierigen Schilderung meiner Begegnung mit Agia und der Zerstörung des Pelerinen-Altars, aber er unterbrach mich bald. »Lauter Mutmaßungen. Du hast dieses Juwel weder auf dem Altar gesehen noch die Hand der Frau bemerkt, als sie’s dir gegeben hat, falls dem überhaupt so gewesen ist. Woher hast du’s?«
»Ich fand’s in meiner Gürteltasche.« Ich konnte wohl nicht viel mehr dazu sagen.
Barbatus wandte sich fast enttäuscht ab. »Und du …« Er richtete den Blick auf Baldanders. »Ossipago hat nun das Juwel, und er hat’s von dir bekommen. Woher hast
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