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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ihr wißt«, sagte er. »Daß jene, die ihr fürchtet, gelernt haben, wie ihr zu bezwingen seid. Es mag stimmen, daß sie noch einfältig sind; doch vielleicht nehmen sie etwas mit heim, das sie erleuchtet.«
    Er hatte den Doktor angesprochen, aber ich konnte mich nicht länger zurückhalten und fragte: »Darf ich erfahren, wovon Ihr sprecht, Sieur?«
    »Ich spreche von euch, euch allen, Severian. Es kann nicht schaden, wenn ich’s ausspreche.«
    Barbatus wandte ein: »Solange du’s nicht zu freizügig tust.«
    »Es gibt ein Zeichen, das auf einer Welt verwendet wird, auf der hin und wieder unser Schiff endlich zur Ruhe kommt. Es ist eine Schlange mit einem Kopf an jedem Ende. Ein Kopf ist tot – der andere nagt an ihm.«
    Ohne sich vom Fenster abzukehren, warf Ossipago ein: »’s ist, glaub’ ich, diese Welt.«
    »Gewiß könnte uns Camoena ihre Heimat offenbaren. Freilich spielt’s keine Rolle, ob man’s weiß. So läßt es sich um so besser verstehen. Der lebendige Kopf steht für Zerstörung. Der Kopf, der nicht lebt, für den Aufbau. Der erstere nährt sich vom letzeren; und nährend erhält er seine Nahrung. Ein Kind würde meinen, sollte ersterer sterben, könnte der tote, aufbauende Kopf triumphieren, indem er seinen Zwilling sich gleich machte. In Wahrheit würden beide bald vergehen.«
    Barbatus sagte: »Wie so oft drückt sich mein Freund nicht ganz deutlich aus. Folgst du ihm?«
    »Ich nicht!« verkündete Dr. Talos erbost. Wie angewidert kehrte er sich um und eilte die Treppe hinab.
    »Das macht nichts«, erklärte mir Barbatus, »denn sein Herr tut’s.«
    Er hielt inne, als erwartete er einen Einwand von Baldanders, und fuhr dann, wieder an mich gerichtet, fort: »Unser Anliegen ist, eure Rasse weiterzubringen, nicht zu belehren, weißt du.«
    »Die Leute vom Ufer weiterzubringen?« fragte ich.
    Die ganze Zeit über murmelten die Wasser des Sees ihren Nachtkummer durch die Fenster. Ossipagos Stimme schien darin einzustimmen, als er sagte: »Euch alle …«
    »Also stimmt’s! Was die Weisen vermutet haben. Wir werden geleitet. Ihr wacht über uns und habt uns in den Ären unserer Geschichte, für euch bloß Tage, aus der Barbarei gehoben.« In meiner Begeisterung zog ich das braune Buch hervor, das trotz seiner Wachstuchhülle noch etwas feucht war von meinem Bad an diesem Tag. »Hier, ich will euch zeigen, was hier steht: ›Zwar nicht weise, ist der Mensch dennoch der Gegenstand von Weisheit. Erachtet ihn die Weisheit dafür als würdig, ist es dann weise von ihm, seine Torheit auf die leichte Schulter zu nehmen?‹ Etwas dergleichen.«
    »Du irrst«, erwiderte mir Barbatus. »Ären sind für uns Äonen. Mein Freund und ich haben uns noch nicht so lange, wie dein Leben dauert, mit deiner Rasse befaßt.«
    Baldanders sagte: »Ihresgleichen leben nur zwei Dutzend Jahre wie ein Hund.« Sein Ton hat mir mehr verraten, als hier geschrieben steht, denn jedes Wort ist gefallen, wie ein Stein in eine tiefe Zisterne fällt.
    »Das kann nicht sein«, wandte ich ein.
    »Ihr seid das Werk, für das wir leben«, erklärte Famulimus. »Dieser Mann, den ihr Baldanders nennt, lebt, um zu lernen. Wir sorgen dafür, daß er altes Wissen hortet – seinen Kopf mit Tatsachen anfüllt – Fakten, hart wie Samen, um ihn mächtig zu machen. Schließlich wird er durch Hände sterben, die nicht sammeln, aber sein Tod wird euch allen ein wenig nutzen. Stell dir einen Baum vor, der einen Fels spaltet! Er speichert Wasser, die lebensspendende Sonnenwärme … und alles, was das Leben ausmacht, zur eigenen Verwendung. Schließlich stirbt und verrottet er und düngt die Erde, die seine eigenen Wurzeln aus Stein geschaffen. Kaum wirft er seinen Schatten nicht mehr, sprießen neue Samen hervor; schließlich gedeiht, wo er gestanden hat, ein Wald.«
    Dr. Talos erschien wieder im Treppenschacht, langsam und spöttisch in die Hände klatschend.
    Ich fragte: »Ihr habt ihnen also diese Maschinen überlassen?« Beklommen war ich mir abermals der ausgeweideten Frau bewußt geworden, die irgendwo hinter mir unter ihrem Glasdeckel lallte – dergleichen hätte dem Folterer Severian einst nicht das geringste ausgemacht. Barbatus verneinte. »Die hat er gefunden oder selbst entwickelt. Famulimus sagte, er wollte lernen, und daß wir dafür sorgten, daß er lernte, nicht daß wir ihn lehrten. Wir lehren nicht, nie und nimmer, sondern handeln nur mit solchem Gerät, das, kompliziert, wie es ist, dein Volk unmöglich nachbauen

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