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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Sonnenschein wohl nur grau wären, nun aber schwarz im Regen glänzten. Sein roter Haarschopf und Bart waren noch erkennbar, was mir verriet, daß er auf dem Bauch lag, den Kopf zur Seite gedreht. Mein Schlag war mir gar nicht so fest vorgekommen, aber es mag sein, daß ich stärker bin, als ich weiß, wie andere gelegentlich bemerkt haben. Freilich ahnte ich, daß Dr. Talos, wandelte er auch noch so gespreizt einher, schwächer war, als ein jeder von uns außer Baldanders vermutet hätte. Es wäre mir nun ein leichtes gewesen, Terminus Est zu schwingen und ihm mit der Klinge den Schädel zu spalten.
    Statt dessen hob ich seine Waffe auf, den dünnen Silberstahl, der seiner Hand entglitten war. Es handelte sich um einen einschneidigen Degen, etwa so breit wie mein Zeigefinger und scharf wie ein Skalpell – was sich für einen Chirurgen nur geziemte. Wie sich herausstellte, war sein Heft nur der Griff seines Gehstocks, den ich so oft zu Gesicht bekommen hatte und in dem also ein richtiges Schwert gesteckt hatte; ich lächelte dort im Regen beim Gedanken daran, wie der Doktor dieses sein Schwert so viele Meilen bei sich getragen hatte, ohne daß ich’s gemerkt hatte, der ich mich mit dem meinen auf dem Buckel so hatte abmühen müssen. Die Spitze war auf dem Stein zersplittert, als er damit nach mir gestoßen hatte; ich schleuderte die zerbrochene Klinge über die Brüstung wie Baldanders die Klaue und stieg in den Turm, um ihn zu töten.
    Als wir die Treppen erklommen hatten, war ich so in das Gespräch mit Famulimus vertieft gewesen, daß ich den Räumen, die wir durchmaßen, kaum Beachtung geschenkt hatte. Die oberste Kammer hatte ich nur noch als offenbar gänzlich scharlachrot drapiertes Gemach in Erinnerung. Nun bemerkte ich rote Kugeln, Lampen, die ohne Flamme brannten wie jene silbernen Blumengebilde, die von der Decke des großen Zimmers hingen, worin ich den drei Wesen, die ich nicht mehr Cacogens nennen konnte, begegnet war. Diese Kugeln standen auf elfenbeinernen Sockeln, fein und zart wie ein Vogelskelett, und ragten von einem Fußboden auf, der gar kein Fußboden war, sondern ein Meer von Tuchen, allesamt in Rot, aber von unterschiedlicher Tönung und Webart. Darüber war ein Baldachin ausgespannt, den Atlanten trugen. Gleichfalls scharlachrot, war er besetzt mit abertausend Silberplättchen von solchem Hochglanz, daß sie fast so vollendete Spiegel wie der Harnisch von den Prätorianern des Autarchen waren.
    Erst als ich fast zum Fuß der Treppe gelangt war, erkannte ich, was ich hier sah, war nur das Schlafgemach des Riesen, dessen Bettstatt von der fünffachen Größe einer gewöhnlichen in die Dielen eingelassen war, so daß ihre kirsch- und karminroten Decken wie Teppiche auf dem scharlachrot ausgeschlagenen Boden ausgebreitet lagen. In diesem Augenblick entdeckte ich ein Gesicht inmitten des zerwühlten Bettzeugs. Ich hob das Schwert, und das Gesicht verschwand, aber ich stieg von der Treppe und zog eine der Daunendecken weg. Der Lustknabe darunter (falls er ein Lustknabe war) stand auf und trat mir mit der Kühnheit entgegen, wie sie Kindern zuweilen zu eigen ist. Und er war wahrlich noch ein Kind, obschon fast so hochwüchsig wie ich, ein nackter Knabe, so feist und drall, daß sein Schwellbauch die winzigen Geschlechtsteile verbarg. Seine Arme waren wie rosa Kissen, von goldenen Kordeln umschlungen, und an seinen Ohren baumelten goldene Ringe mit feinen Glöckchen daran. Golden war auch sein Lockenschopf; unter diesem hervor betrachtete er mich aus großen blauen Kinderaugen.
    So groß er auch gewesen ist, ich habe nie glauben können, daß Baldanders der Knabenliebe frönte, wie man es sich unter diesem Begriff vorstellt, obschon durchaus denkbar wäre, daß er dies im Sinne hätte, wäre der Knabe erst noch größer. Außer Frage stand sicherlich, daß er, so wie er auch das eigene Wachstum eindämmte und nur insoweit zuließ, als es erforderlich war, um seinen Koloß von Körper vor dem wüsten Zahn der Zeit zu bewahren, das Wachstum dieses armen Knaben beschleunigt hatte, soweit ihm sein anthroposophisches Wissen das ermöglichte. Ich bringe das hier zur Sprache, weil er gewiß erst Hand an ihn gelegt hat, nachdem er und Dr. Talos sich längst von Dorcas und mir getrennt hatten.
    (Ich ließ diesen Knaben, wo ich ihn gefunden hatte. Bis heute habe ich keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Höchstwahrscheinlich kam er um; aber es wäre auch denkbar, daß die Leute vom See ihn bei sich

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