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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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entgegnete ich. »Und sei’s nur darum, daß wir wissen, eines Tages sterben zu müssen. In allen von uns – die kleinsten Kinder ausgenommen.«
    »Ich werd’ zurückgehn, Severian. Darüber bin ich mir nun im klaren, und das hab, ich dir die ganze Zeit sagen wollen. Ich muß zurück und herausfinden, wer ich gewesen bin, wo ich gelebt habe und was mir widerfahren ist. Ich weiß, du kannst nicht mit mir gehn …«
    Ich nickte.
    »Und ich werd’ dich auch nicht darum bitten. Ich möchte es gar nicht. Ich liebe dich, aber du bist ein anderer Tod, ein Tod, der an meiner Seite ausgeharrt und mich umworben hat wie der alte Tod im See, aber nichtsdestoweniger ein Tod. Ich will nicht den Tod mitnehmen, wenn ich mich auf die Suche nach meinem Leben mache.«
    »Verstehe«, sagte ich.
    »Vielleicht lebt mein Fand noch – ist vielleicht schon ein Greis, aber noch am Leben. Ich muß das wissen.«
    »Ja«, sagte ich. Aber ich konnte nicht umhin, anzufügen: »Einmal hast du gesagt, ich sei nicht der Tod. Daß ich mir von anderen nicht einreden lassen dürfe, mich als solcher zu sehen. Es war hinter dem Obstgarten in den Anlagen des Hauses Absolut. Erinnerst du dich?«
    »Du bist für mich der Tod gewesen«, erwiderte sie. »Ich bin in die Falle gegangen, vor der ich dich gewarnt habe, wenn du so willst. Vielleicht bist du nicht der Tod, aber du wirst bleiben, was du bist, ein Folterer und Scharfrichter, und deine Hände in Blut baden. Da du dich so gut an die Zeit im Haus Absolut erinnerst, weißt du vielleicht auch noch … Ich kann’s nicht sagen. Der Schlichter oder die Klaue oder der Increatus hat mir das angetan. Nicht du.«
    »Was ist denn?« fragte ich.
    »Dr. Talos hat uns danach beiden Geld gegeben auf der Lichtung. Das Geld, das er von einem Hofbeamten für unsere Aufführung erhalten hat. Unterwegs hab’ ich dir alles gegeben. Könnt’ ich es wiederhaben? Ich brauch’s. Wenn nicht alles, dann wenigstens einen Teil.«
    Ich leerte das Geld in meiner Gürteltasche auf den Tisch. Es war so viel, wie ich von ihr erhalten hatte, vielleicht ein bißchen mehr.
    »Danke«, sagte sie. »Du brauchst es nicht?«
    »Nicht so dringend wie du. Außerdem gehört’s dir.«
    »Ich werd’ morgen aufbrechen, falls ich mich wohl fühle. Spätestens übermorgen, ob ich mich wieder wohl fühle oder nicht. Ich nehme nicht an, daß du weißt, wie oft die Schiffe flußabwärts fahren?«
    »Sooft du willst. Einfach reinstoßen, und schon tut der Fluß das übrige.«
    »Das paßt nicht recht zu dir, Severian. So etwas würde eher dein Freund Jonas gesagt haben, nach dem zu urteilen, was du von ihm erzählt hast. Dabei fällt mir ein, du bist nicht mein erster Besuch heute. Unser Freund – immerhin dein Freund – Hethor war hier. Das ist weniger lustig für dich, nicht wahr? Tut mir leid, aber ich wollte nur das Thema wechseln.«
    »Es gefällt ihm. Gefällt ihm, mir zuzusehn.«
    »Tausenden gefällt es, wenn du deines Amtes öffentlich waltest, und dir gefällt’s ebenfalls.«
    »Sie kommen, um sich zu fürchten, damit sie sich nachher gratulieren können, noch am Leben zu sein. Und weil sie das Schauspiel packt und fesselt und sie mit Spannung erwarten, ob der Verurteilte zusammenbreche oder sich irgendein anderer makabrer Zwischenfall ereigne. Mir gefällt es, mein Können unter Beweis zu stellen, das einzige Können, dessen ich mich rühmen kann – mir gefällt es, alles perfekt über die Bühne zu bringen. Hethor will was andres.«
    »Den Schmerz?«
    »Ja, den Schmerz und noch mehr.«
    Dorcas sagte: »Er verehrt dich, weißt du. Wir haben uns eine Zeitlang unterhalten; ich glaube, er würde für dich durchs Feuer gehn.« Ich zuckte wohl zusammen bei diesem Ausspruch, denn sie fügte hinzu: »Das mit Hethor macht dich wohl krank, nicht wahr? Reden wir von was andrem.«
    »Nicht krank, wie du’s bist, nein. Aber wenn ich an Hethor denke, fällt mir immer wieder ein, wie ich ihn eines Tages unter dem Schafott hab’ stehn sehn – den Mund offen und die Augen …«
    Sie zappelte erregt. »Ja, diese Augen – ich hab’s heut’ abend gesehn. Tote Augen, obwohl ausgerechnet ich so etwas nicht sagen sollte. Leichenaugen. Man hat den Eindruck, würde man in sie hineinfassen, fühlten sie sich so trocken wie Stein an und zuckten nicht einmal unter dem Finger.«
    »Das ist es gar nicht. Als ich bei Saltus auf dem Schafott stand und zu ihm hinabschaute, sah ich, daß seine Augen tanzten. Du sagtest jedoch, seine Augen kämen dir die

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