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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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»Jedenfalls war ich mit dieser Dame allein im Sommerhaus. Sie hieß Cyriaca. Ich wußte oder ahnte zumindest, daß sie den Aufenthalt der Pelerinen kannte – sie hatte eine Zeitlang zu ihnen gehört. Es gibt stille Methoden der Folter, die zwar nicht spektakulär, aber recht wirksam sind. Man faßt in den Leib und hantiert direkt an den Nerven des Klienten. Ich wollte den Handgriff, den wir ›Humbabas Stock‹ nennen, anwenden, aber bevor ich Hand an sie legte, hatte sie es gesagt. Die Pelerinep sind in der Nähe des Orythia-Passes, wo sie die Verwundeten pflegen, die man von der Nordfront bringt. Diese Dame habe, sagte sie, erst vor einer Woche einen Brief von einer alten Bekannten im Orden bekommen …«
     

 
Dem Strom entlang
     
    Das Sommerhäuschen hatte ein festes Dach aufzuweisen, aber seine Wände bestanden aus bloßem Gitterwerk, das die großen Waldfarne, die daran emporwuchsen, mehr abdichteten als die schmalen Latten. Der Mondschein drang hindurch; mehr Licht fiel, vom rauschenden Strom davor zurückgeworfen, durch die Tür herein. Ich bemerkte die Angst in Cyriacas Gesicht und die Ahnung, daß ihre einzige Hoffnung nun darin bestehe, daß meine Liebe zu ihr noch nicht ganz erkaltet wäre; und ich wußte somit, daß sie ohne Hoffnung war, denn ich fühlte nichts.
    »Im Lager des Autarchen«, wiederholte sie. »Das hat mir Einhildis geschrieben. In Orithyia, nahe den Quellen des Gyolls. Aber du mußt auf der Hut sein, wenn du dorthin gehst, um das Buch zurückzugeben – sie hat auch davon gesprochen, daß irgendwo im Norden Cacogens gelandet seien.«
    Ich blickte sie forschend an, um festzustellen, ob sie lüge.
    »Das hat Einhildis berichtet. Vermutlich wollten sie die Spiegel im Haus Absolut meiden, um den Augen des Autarchen zu entgehn. Er soll ja ihr Diener sein, aber zuweilen verhält er sich so, als wären sie die seinen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Treibst du Scherze mit mir? Der Autarch soll ihnen dienen?«
    »Bitte! O bitte …«
    Ich ließ sie los.
    »Jeder … Erebus! Verzeih.« Sie schluchzte, und obwohl sie im Schatten lag, ahnte ich, daß sie mit dem Saum ihrer scharlachroten Tracht Augen und Nase abwischte. »Jeder weiß es bis auf die Tagelöhner, Hausväter und Frauen. Alle Waffenträger und sogar die meisten Optimaten und selbstverständlich die Beglückten wissen es seit jeher. Ich habe den Autarchen noch nie gesehn, habe aber erfahren, er sei kaum größer als ich. Glaubst du, unsere stolzen Beglückten würden einem solchen die Herrschaft überlassen, stünden nicht tausend Kanonen hinter ihm?«
    »Ich habe ihn gesehn«, erklärte ich, »und mich darüber gewundert.« Ich suchte in Theclas Erinnerungen nach einer Bestätigung dessen, was Cyriaca geäußert hatte, stieß aber nur auf Gerüchte.
    »Erzähl mir doch von ihm, bitte! Bitte, Severian, bevor …«
    »Nicht jetzt. Aber wieso sollten die Cacogens eine Gefahr für mich sein?«
    »Weil der Autarch zweifellos Späher aussenden wird, um ihren Aufenthalt zu ermitteln, was wohl auch der hiesige Archon veranlassen wird. Jeder, der in ihrer Nähe aufgegriffen wird, gerät in den Verdacht, für sie spioniert zu haben oder bestrebt zu sein, sie für irgendein Komplott gegen den Phönixthron gewinnen zu wollen, was noch schlimmer ist.« »Verstehe.«
    »Severian, töte mich nicht. Ich fleh’ dich an. Ich bin keine gute Frau – schon seit meinem Austritt aus dem Pelerinenorden nicht mehr, und ich kann dem Tod jetzt nicht ins Auge sehen.«
    Ich fragte sie: »Was hast du denn überhaupt verbrochen? Warum will Abdiesus deinen Tod? Weißt du’s?« Es ist ein Kinderspiel, jemand zu erwürgen, dessen Nackenmuskeln nicht stark sind, und ich rieb mir schon die Hände, bereit, das Werk anzugehen; dennoch wär’s mir lieber gewesen, hätte ich statt dessen Terminus Est verwenden dürfen.
    »Nur weil ich zu viele andere Männer neben meinem Gemahl geliebt habe.«
    Wie vom Gedenken an diese Umarmungen getrieben, erhob sie sich und trat vor mich hin. Wieder fiel Mondschein auf ihr Gesicht; in ihren Augen glänzten unvergossene Tränen.
    »Er war grausam, sehr grausam zu mir nach unserer Heirat … und so nahm ich mir aus Trotz einen Geliebten, und bald noch einen …« (Ihre Stimme wurde so leise, daß ich sie kaum mehr verstehen konnte.)
    »Und schließlich wird’s zur Gewohnheit, sich einen neuen Liebhaber zu suchen – eine Möglichkeit, die Tage zuzubringen und sich zu beweisen, daß das Leben nicht schon zwischen den Fingern

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