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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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kleine Bootsfahrt unternehmen, und fragte, ob es schwer wäre, Ruderer anzuheuern, die uns wieder stromaufwärts fahren könnten. Er sagte, wir könnten das Boot am Capulus zurücklassen, wenn wir wollten, und mit einem Fiaker zurückkehren. Als er sich abwandte, um die Unterhaltung mit seinem Kameraden fortzusetzen, tat ich so, als wollte ich mir die Boote ansehen, wobei ich die Fangleine desjenigen, das am weitesten von den Fackeln der Wachtposten lag, löste.
    Dorcas sagte: »Und nun mußt du also in den Norden fliehen, während ich dir alles Geld abgenommen habe.«
    »Ich brauche nicht viel und werd’ mir wieder welches beschaffen.« Ich stand auf.
    »Nimm wenigstens die Hälfte zurück!« Als ich den Kopf schüttelte, versetzte sie: »Dann wenigstens zwei Chrysos. Schlimmstenfalls kann ich huren oder stehlen.«
    »Wenn du stiehlst, wird dir die Hand abgehackt. Und es ist besser, wenn ich für ein Mahl Hände abhacke, als daß du deine Hände für ein Mahl hergibst.«
    Ich kehrte meine Schritte zur Tür, aber Sie sprang aus dem Bett und hielt mich am Mantel fest. »Sei vorsichtig, Severian! Irgend etwas – Hethor nannte es einen Salamander – geht in der Stadt um. Was immer das sein mag, es verbrennt seine Opfer.«
    Ich erklärte ihr, ich hätte von den Soldaten des Archons mehr zu befürchten als vom Salamander, und war hinausgegangen, ehe sie noch etwas sagen konnte. Aber als ich die schmale Gasse am Westufer erklomm, die zum Berggrat führte, wie mein Bootsführer mir versichert hatte, fragte ich mich, ob ich nicht noch viel mehr von der Kälte des Gebirges und seinen wilden Tieren zu befürchten hätte. Ich wunderte mich gleichfalls über Hethor, der mir so hoch in den Norden gefolgt war, und überlegte, was ihn dazu veranlaßt hatte. Aber mehr als an all das dachte ich an Dorcas, was sie mir und ich ihr bedeutet hatte. Es sollte viel Zeit vergehen, ehe ich von ihr wieder etwas zu sehen bekäme. Genauso wie damals, als ich aus der Zitadelle aufgebrochen war und meine Kapuze übergezogen hatte, damit die Passanten mein Lächeln nicht sähen, so vermummte ich auch nun das Gesicht, um die Tränen zu verbergen, die über meine Wangen rannen.
    Schon zweimal hatte ich das Reservoir, das die Vincula versorgte, bei Tage gesehn, nachts jedoch noch nie. Es war mir klein vorgekommen, das rechteckige Sammelbecken, nicht größer als das Fundament eines Hauses und nicht tiefer als ein Grab. Unter dem abnehmenden Mond wirkte es nun fast wie ein See und so tief wie die Zisterne unterm Glockenturm.
    Es lag keine hundert Schritt von der Mauer entfernt, die den westlichen Stadtrand von Thrax sicherte. Diese Mauer war mit Türmen bewehrt – einer davon stand dicht beim Wasserreservoir –, und gewiß waren die Garnisonen inzwischen angewiesen, mich zu ergreifen, sollte ich aus der Stadt zu fliehen versuchen. In Abständen hatte ich beim Besteigen des Hanges die Posten erspäht, die an der Mauer patrouillierten; ihre Lanzen waren nicht entflammt, aber ihre Helme mit dem kammartigen Aufsatz zeichneten sich vom gestirnten Himmel ab und glänzten zuweilen im Sternenschein.
    Nun duckte ich mich und blickte zur Stadt hinab, wobei ich mich darauf verließ, daß mein rußschwarzer Mantel und die genauso dunkle Kapuze ihre Augen täuschten. Die eisernen Portcullii an den Capulusbögen waren herabgelassen worden – ich konnte erkennen, wie sich die Fluten des Acis schäumend an den Gittern brachen. Das nahm mir jeden Zweifel: Cyriaca war aufgehalten oder – was wahrscheinlicher war – einfach gesehen und gemeldet worden. Ob Abdiesus große Anstrengungen zu ihrer Ergreifung unternähme, war ungewiß; vermutlich würde er sie ungehindert verschwinden lassen und somit alles Aufsehen um ihre Person vermeiden. Bestimmt würde er jedoch mich ergreifen, wenn er könnte, um mich als den Verräter, der ich war, hinzurichten.
    Vom Wasser wandte ich meinen Blick wieder zum Wasser: von den brausenden Fluten des Acis zum stillen Reservoir. Ich hatte das Wort für das Schleusentor und benutzte es. Wie von sklavischer Zauberhand bewegt, knirschte der altertümliche Mechanismus, und bald brauste auch dieses stille Wasser, brauste und strudelte schneller als der wütende Acis am Capulus. Weit unten würden die Gefangenen sein Getöse hören. Im nächsten Moment wären diejenigen, die ständen, knöcheltief im Wasser, und die Liegenden sprängen flugs auf die Füße; im übernächsten Moment stünden sie hüfttief in der Flut; aber sie wären an

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