Das Schwert des Liktors
den Zinnen der Burg Acies aus gesehen, und trotz meines Elends jauchzte ich und wäre vor Freude fast in Ohnmacht gefallen.
Die Nacht verbrachte ich zusammengekauert im Schutze des nackten Felsens. Gegessen hatte ich schon seit dem Umkleiden in der Vincula nichts mehr, was mir nun vorkam, als wäre es schon Wochen, wenn nicht Jahre her. In Wirklichkeit lag es erst wenige Monate zurück, daß ich ein altes Küchenmesser in die Zelle der armen Thecla geschmuggelt hatte und ihr Blut als schleichenden scharlachroten Wurm unter der Zellentür hatte hervorrinnen sehen.
Wenigstens hatte ich mir eine gute Felsnische ausgesucht. Sie schützte mich vor dem Wind, und solange ich hinter ihr verweilte, ruhte ich wie in der stillen, kühlen Luft einer Eishöhle. Trat ich aber einen Schritt zur Seite, blies er mir voll in die Kleider, so daß ich in einem einzigen frostklirrenden Moment bis auf die Knochen durchgefroren war.
Ich schlief wohl etwa eine Wache lang ohne einen Traum, der meinen Schlummer überdauert hätte, und erwachte dann mit dem Eindruck – was kein Traum war, sondern eine jener unbegründeten Ahnungen, eine jener Mutmaßungen, die über einen kommen, wenn man erschöpft und verängstigt ist –, Hethor beugte sich über mich. Mir war, als spürte ich seinen Atem stinkend und kalt in meinem Gesicht; seine Augen, nun nicht mehr stumpf, funkelten mich an. Als ich ganz wach war, wurde mir klar, daß die Lichtpunkte, die ich für seine Pupillen gehalten hatte, in Wirklichkeit zwei Sterne waren, groß und hell in der dünnen, reinen Luft.
Ich versuchte wieder zu schlafen und zwang mich, an die wärmsten und behaglichsten Plätze in meinem Leben zu denken: die Gesellenstube, die ich in unserm Turm erhalten hatte und die mir wie ein Palast vorgekommen war nach dem Lehrlingsschlafsaal, war’s doch mein erstes eigenes Zimmer mit einer weichen Bettstatt gewesen; das Lager, das ich einst mit Baldanders geteilt hatte und das sein breiter Rücken wie ein Ofen aufgeheizt hatte; Theclas Gemächer im Haus Absolut; das trauliche Zimmer zu Saltus, das ich mit Jonas bewohnt hatte.
Es half nichts, ich fand keinen Schlaf mehr; trotzdem wagte ich es nicht, aufzustehen und weiterzugehen aus Angst, ich könnte im Finstern über einen Hang stürzen. Die restliche Nacht verbrachte ich damit, die Sterne zu betrachten; es war das erste Mal, daß ich wirklich die Pracht und Größe der Gestirne erlebte, worüber uns Meister Malrubius unterrichtet hatte, als ich der jüngste Lehrling war. Wie sonderbar es ist, daß der Himmel, bei Tag das unbewegliche Spielfeld der Wolken, des Nachts zum Bühnenbild der Eigenbewegung der Urth wird, so daß wir ihr Rollen unter uns spüren wie ein Seemann die Strömung der Tide. In jener Nacht empfand ich die gemächliche Drehung so stark, daß mir von ihrem langen, beständigen Schwung schier schwindlig wurde.
Stark war auch der Eindruck, daß der Himmel ein bodenloser Schlund sei, in den das Universum immerfort falle. Ich hatte Leute sagen hören, wenn sie zu lang zu den Sternen blickten, bekämen sie das entsetzliche Gefühl, fortgezogen zu werden. Meine eigene Furcht – und ich empfand Furcht – kreiste nicht um ferne Sonnen, sondern um die gähnende Leere; und zuweilen wurde meine Angst so überwältigend, daß ich mich mit froststarren Fingern an den Fels klammerte, denn mir war, ich müsse von der Urth fallen. Gewiß fühlt das jedermann ein bißchen, denn man sagt, nicht einmal in Gegenden mit mildestem Klima seien die Menschen gewillt, in dachlosen Behausungen zu schlafen.
Wie gesagt, hatte ich beim Erwachen den Eindruck gehabt, Hethor (wohl deswegen, weil mir Hethor seit dem Gespräch mit Dorcas nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte) starre in mein Gesicht, aber beim Öffnen der Augen gemerkt, daß von seinem Gesicht bis auf die zwei hellen Sterne nichts mehr übriggeblieben war. Ebenso erging es mir zuerst, als ich versuchte, die Gestirne zu bestimmen, deren Namen ich so oft gelesen hatte, obgleich ich nur bruchstückhaft ahnte, in welchem Himmelsteil sie zu finden wären. Zunächst erschienen mir alle Sterne als eine ununterscheidbare, wenn auch wunderschöne Lichtermasse, wie die Funken, die von einem Feuer aufstiegen. Allmählich fiel mir natürlich auf, daß manche heller waren als andere und daß sie keinesfalls von einheitlicher Farbe waren. Dann stach mir nach langem Hinsehen mit einemmal eine Peryton-Gestalt so deutlich ins Auge, als wäre der ganze Leib des Vogels mit Diamantenstaub
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