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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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gepudert. Im nächsten Moment war die Erscheinung wieder verschwunden, aber bald kehrte sie zurück im Geleit anderer Gebilde, wovon einige den Konstellationen entsprachen, von denen ich gehört hatte, andere aber, fürchte ich, lediglich meiner Phantasie entsprangen. Ein Amphisbaena, eine Schlange mit dem Kopf an beiden Enden, stellte sich besonders unverkennbar dar.
    Als diese himmlischen Tiere in Sicht kamen, verschlug es mir den Atem ob ihrer Schönheit. Als sie sich aber so deutlich abzeichneten (was rasch der Fall war), daß ich sie beachten mußte, ob ich wollte oder nicht, erfüllte mich die gleiche Angst, wie ich sie davor hatte, in den mitternächtlichen Schlund zu stürzen, über dem sie sich schlängelten; dennoch war es keine rein physische, instinktive Angst wie die andere, sondern vielmehr ein philosophisches Grauen beim Gedanken an einen Kosmos, in den plumpe Bilder von Tieren und Ungeheuern mit flammenden Sonnen gezeichnet waren.
    Nachdem ich den Kopf mit dem Mantel bedeckt hatte, wozu ich gezwungen war, wollte ich nicht um den Verstand kommen, sann ich über die Welten nach, die um jene Sonnen kreisten. Wir wissen alle, daß es sie gibt. Manche sind bloß endlose Steinfelder, andere Eiswüsten oder mit Lavaströmen bedeckte Öden, wie man es von Abaddon annimmt; viele sind jedoch mehr oder weniger schöne Welten, von Geschöpfen bewohnt, die entweder vom Menschengeschlecht abstammen oder sich wenigstens nicht völlig von uns unterscheiden. Zunächst dachte ich an einen grünen Himmel, blaues Gras und alle anderen kindischen Exotika, die uns gern einfallen, stellen wir uns andere Welten vor. Aber bald wurde ich diese Kindereien müde und begann mir statt dessen Gesellschaften und Wege des Denkens auszumalen, die nichts mit den unseren gemein hatten; Welten, in denen alle Leute, die um ihre Abstammung von einem einzigen Kolonistenpaar wüßten, sich wie Brüder und Schwestern behandelten; Welten, worin es keine andere Währung als Ehre gäbe, so daß jeder sich anstrengte, um sich mit diesem oder jenem, der die Gemeinschaft gerettet hätte, zusammentun zu dürfen; Welten, worin der lange Krieg zwischen Mensch und Tier ein Ende gefunden hätte. Diesen Gedanken gesellten sich viele neue hinzu – wie zum Beispiel die Justiz entbehrlich würde, wenn jeder jeden liebte; wie ein Bettler, der nichts als seine Menschlichkeit besäße, Ehre erbitten könnte, und wie ein Volk, das kein fühlendes Vieh tötete, beschuht und ernährt werden könnte.
    Als mir in meiner Kindheit zum ersten Mal klar geworden war, die grüne Mondscheibe sei eigentlich eine im Himmel hängende Insel, deren Farbe von den nun uralten Wäldern stamme, die in den frühesten Tagen der Menschenrasse gepflanzt worden seien, faßte ich den Entschluß, dorthin zu gehen, und dehnte diese Absicht auf alle anderen Welten des Universums aus, als ich nach und nach ihre Existenz gewahr wurde. Ich hatte diesen Wunsch mit dem (und durch es, wie ich glaubte) Erwachsenwerden aufgegeben, erkannte ich doch, daß nur Leute von Rang, wie ich ihn für mich unerreichbar wähnte, je imstande seien, die Urth zu verlassen. Nun wurde diese alte Sehnsucht wieder geschürt, und obgleich sie im Laufe der Zeit wohl immer absurder geworden war (denn gewiß standen als kleiner Lehrling meine Chancen, die Sterne doch noch zu bereisen, ungleich besser als jetzt, da ich ein Geächteter war), war sie unerhört stark und fest, hatte ich doch in der Zwischenzeit gelernt, wie töricht es sei, seine Wünsche auf das Mögliche zu beschränken. Ich würde gehen, wie ich beschlossen hatte. Für den Rest meines Lebens würde ich wachsam nach jeder auch noch so kleinen Gelegenheit Ausschau halten. Schon einmal hatte es sich gefügt, daß ich allein bei Vater Inires Spiegeln war; kurz entschlossen hatte sich der weit klügere Jonas in den Photonenstrom gestürzt. Wer könnte sagen, daß ich mich nie wieder vor diesen Spiegeln wiederfände?
    Bei diesem Gedanken riß ich mir den Mantel vom Kopf, um abermals nach den Sternen auszuschauen, aber stellte fest, daß Sonnenschein über die Kronen der Berghäupter schlug und sie verblassen ließ. Die titanischen Gesichter, die drohend über mir aufragten, waren nun nur noch diejenigen der längst verblichenen Herrscher der Urth; Gesichter, abgezehrt vom Zahn der Zeit, mit eingefallenen Wangen, die als Steinschläge abgebröckelt waren.
    Ich stand auf und streckte die Glieder. Es war klar, daß ich heute nicht wie gestern wieder den ganzen

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