Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
Unwetter zeigte.
    »Idiot«, sagte Agia. »Jetzt lieferst du dem, was du da draußen fürchtest, auch noch das Messer aus.« Ihre Stimme war ruhig, mußte sie sich doch geschlagen geben.
    »Es braucht keine Messer«, erklärte ihr Casdoe.
    Im Haus war’s nun bis auf den rötlichen Lichtschein des Feuers dunkel geworden. Ich blickte mich nach einer Laterne oder Kerze um, aber nichts dergleichen war in Sicht; später erfuhr ich, daß die wenigen, welche die Familie besaß, auf dem Dachboden verwahrt wurden. Ein Blitz zuckte auf, der die Ränder der Läden ausleuchtete und den Spalt unter der Tür als durchbrochene Linie erhellte – erst im nächsten Moment erkannte ich, daß es eine durchbrochene Linie war, obgleich es eine fortlaufende hätte sein müssen. »Es ist jemand draußen«, stellte ich fest. »Steht auf der Schwelle.«
    Casdoe nickte. »Ich hab’ die Fenster gerade noch rechtzeitig verrammelt. Es ist noch nie so früh gekommen. Vielleicht hat das Gewitter es geweckt.«
    »Du glaubst nicht, daß es dein Mann ist?«
    Ehe sie antworten konnte, hatte eine Stimme, höher als die eines Kindes, gerufen: »Laß mich rein, Mutter!«
    Sogar ich, der ich nicht wußte, was es war, das dort sprach, spürte beklemmend, daß mit diesem schlichten Ausspruch irgend etwas nicht stimmte. Mochte es auch eine Kinderstimme sein, so jedenfalls keine eines Menschenkindes.
    »Mutter«, rief die Stimme abermals, »es fängt zu regnen an.«
    »Wir gehn besser nach oben«, meinte Casdoe. »Wenn wir hinter uns die Leiter raufziehn, kann’s uns nicht an den Leib, selbst wenn es ins Haus kommen sollte.«
    Ich war zur Tür gegangen. Wenn es nicht blitzte, waren die Füße dessen, das dort auf der Schwelle stand, nicht sichtbar; allerdings vernahm ich neben dem prasselnden Regen ein heiseres, langsames Atmen und einmal ein Scharren, als hätte das Etwas, das dort im Finstern lauerte, seinen Stand gewechselt.
    »Ist das dein Werk?« fragte ich Agia. »Eine von Hethors Kreaturen?«
    Sie schüttelte den Kopf; die schmalen braunen Augen rollten hin und her. »Sie laufen in diesen Bergen frei herum, was du besser als ich wissen solltest.«
    »Mutter?«
    Schlurfende Tritte drangen an mein Ohr – bei dieser verdrossenen Frage hatte sich das Ding draußen von der Tür abgewandt. Einer der Läden war gesprungen, und ich versuchte, durch den Spalt hinauszublicken; ich konnte nichts sehen in der Schwärze draußen, vernahm aber weiche, schwere Schritte, wie sie zuweilen durch die verschlossenen Tore des Bärenturms daheim erklungen waren.
    »Severa hat’s uns vor drei Tagen genommen«, erklärte Casdoe. Sie bemühte sich, den Greis zum Aufstehen zu bewegen; gemächlich raffte dieser sich auf, nur ungern das wärmende Feuer verlassend. »Ich habe ihr und Severian nie erlaubt, den Wald zu betreten, aber es kam eine Wache vor der Dämmerung in die Lichtung hier. Seither ist es jede Nacht zurückgekehrt, aber Becan machte sich heute auf, es zu erlegen.«
    Ich hatte inzwischen erraten, um welches Untier es sich handelte, obwohl ich bisher noch keins davon zu Gesicht bekommen hatte. Ich sagte: »Ist’s denn ein Alzabo? Das Tier, aus dessen Drüsen das Analeptikum gewonnen wird?«
    »Es ist ein Alzabo, ja«, entgegnete Casdoe. »Von einem Analeptikum weiß ich nichts.«
    Agia lachte. »Aber Severian. Er hat von der Weisheit dieser Kreatur gekostet und trägt in sich seine Geliebte mit herum. Ich hab’ mir sagen lassen, man höre sie nachts miteinander tuscheln, im Schweiß heißer Liebe liegend!«
    Ich holte zu einem Schlag aus, aber hurtig wich sie meiner Hand aus und flüchtete sich um den Tisch. »Bist du nicht froh, Severian, daß der Alzabo, als die Tiere auf die Urth kamen, um all jene zu ersetzen, die unsere Vorfahren ausgerottet hatten, auch darunter war? Ohne den Alzabo hättest du deine liebste Thecla für immer verloren. Sag unserer Casdoe, wie glücklich dich der Alzabo gemacht hat.«
    Zu Casdoe sagte ich: »Tut mir aufrichtig leid, das mit deiner Tochter. Ich werd’ das Haus gegen das Tier draußen verteidigen, wenn’s sein muß.«
    Mein Schwert lehnte an der Wand, und um zu zeigen, daß mein Wille so gut wie mein Wort sei, griff ich danach. Was für ein Glück, daß ich das tat, denn im selben Augenblick rief eine Männerstimme an der Tür: »Mach auf, Liebling!«
    Agia und ich setzten hinter Casdoe her, um sie aufzuhalten, aber wir waren nicht schnell genug. Ehe wir sie erreichen konnten, hatte sie das Querholz hochgezogen. Die Tür

Weitere Kostenlose Bücher