Das Schwert des Liktors
seiner Hand, und es war das Gartenmesser, das er am liebsten führte, nicht das Schwert. Aber als er zum Jüngling gereift war, kam ein Krieg, und er griff zu Speer und Schild. Weil er von ruhigem Gemüt und dem König (den er für seinen Vater hielt, wie auch dieser ihn für seinen Sohn) treu ergeben war, dachten viele, die Prophezeiung würde sich als falsch erweisen. Dem war nicht so. In der Hitze der Schlacht kämpfte er kühl, besonnen und überlegt; kein General war an Kriegslisten einfallsreicher und in allen Dingen pflichtbewußter. Die Soldaten, die er gegen den Feind des Königs ins Feld führte, waren gedrillt, bis sie wie Männer aus feuergehärteter Bronze schienen, und so treu und gehorsam, daß sie ihm in die Welt der Schatten, jenem von der Sonne entferntesten Reich, gefolgt wären. Also ging die Rede, der Frühlingswind sei’s, der Türme umwerfe, und der Frühlingswind sei’s, der Schiffe zum Kentern bringe, obgleich’s nicht das war, was Frühsommer beabsichtigt hatte.
Nun fügte es sich, daß die Wirren des Krieges Frühlingswind zur Urth führten, wo er zwei Brüdern begegnete, die Könige waren. Der eine hatte mehrere Söhne, aber der jüngere nur eine einzige Tochter, ein Mädchen namens Vogel des Waldes. Als dieses Mädchen zur Frau reifte, wurde der Vater erschlagen; der Onkel nun, der verhindern wollte, daß sie Söhne gebäre, die auf das Reich ihres Großvaters Ansprüche erhöben, setzte ihren Namen auf die Rolle der jungfräulichen Priesterinnen. Dies mißfiel Frühlingswind, denn die Prinzessin war wunderschön, und ihr Vater war sein Freund gewesen. Eines Tages geschah es nun, daß er allein die Welt von Urth betrat, Vogel des Waldes schlafend an einem Fluß erblickte und mit seinen Küssen weckte.
Ihrem Liebeslager entsprangen Zwillingssöhne, und obschon die Priesterinnen des Ordens Vogel des Waldes geholfen hatten, ihr Reifen in ihrem Bauch vor dem König ihrem Onkel zu verbergen, vermochten sie nicht die Säuglinge zu verstecken. Ehe Vogel des Waldes sie sah, hatten die Priesterinnen sie in einen Weidenkorb mit Daunendecken gelegt und zum selben Fluß getragen, wo Frühlingswind sie überrascht hatte; sie übergaben den Korb dem Strom und gingen von dannen.
ZWEITER TEIL
Wie Frosch eine neue Mutter fand
Weit trieb dieser Korb, über frische Wasser und salzige. Andere Kinder wären gestorben, aber die Kinder von Frühlingswind konnten nicht sterben, waren sie doch noch nicht erwachsen. Die geharnischten Ungeheuer des Wassers tummelten sich bei ihrem Korb, und die Affen warfen Zweige und Nüsse hinein, aber er schwamm immer weiter, bis er schließlich an ein Ufer gelangte, wo zwei arme Schwestern Wäsche wuschen. Diese guten Frauen sahen ihn und riefen, aber da ihr Geschrei nichts half, schürzten sie die Röcke, wateten in den Strom und brachten ihn an Land.
Weil sie im Wasser gefunden worden waren, bekamen die Knaben die Namen Fisch und Frosch, und als die Schwestern sie ihren Männern gezeigt hatten und zu sehen war, daß sie besonders kräftig und wohlgestaltet waren, wählte jede Schwester einen. Nun war die Schwester, die Fisch gewählt hatte, das Weib eines Hirten, und der Gemahl der Schwester, die Frosch gewählt hatte, ein Holzfäller.
Diese Schwester sorgte gut für Frosch und nährte ihn an der Brust, hatte sie doch erst kürzlich ein eigenes Kind verloren. Sie trug ihn in ein Tuch geschlagen am Rücken, wenn ihr Mann in die Wildnis zog, um Brennholz zu schneiden, weswegen von den Geschichtenerzählern zu hören ist, daß sie die stärkste aller Frauen war, trug sie doch ein Weltreich auf ihrem Rücken.
Ein Jahr zog ins Land, und an seinem Ende hatte Frosch gelernt, aufrecht zu stehen und ein paar Schritte zu gehen. Eines Nachts saßen der Holzfäller und sein Weib an ihrem Feuerchen in einer Lichtung der Wildnis; und während das Weib des Holzfällers das Nachtessen bereitete, trat Frosch nackt ans Feuer und wärmte sich an den Flammen. Sodann fragte der Holzfäller, ein barscher, guter Mann, den Knaben: »Gefällt dir das?« und obgleich er bisher noch nie geredet hatte, nickte Frosch und erwiderte: »Rote Blume.« Hierbei, sagt man, regte sich Frühsommer in ihrem Bette auf dem Berg jenseits der Gestade der Urth.
Der Holzfäller und sein Weib waren erstaunt, aber ihnen blieb keine Zeit, einander das Geschehene zu erzählen oder auf Frosch einzureden, mehr zu sprechen, oder auch nur zu überdenken, was sie dem Hirten und seinem Weib bei der nächsten
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