Das Schwert des Liktors
haben sie immer irgendwo einen weißen Fleck, denn Weiß ist die Farbe von Meschia gewesen, in dessen Gedächtnis das reine Licht des Pancreators fortgelebt hat; und seine Söhne hinterlassen es auf allem, was sie anfassen.)
So trat also bei Vollmond die Wölfin vor den Senat der Wölfe, und ihre Welpen spielten zu ihren Füßen, und Frosch – der wahrlich wie ein Frosch aussah, denn das durch die Fenster fallende Mondlicht färbte seine Haut grün – stand neben ihr und klammerte sich an den Pelz ihres Schoßes. Der Präsident des Rudels saß auf dem höchsten Stuhl, und falls er erstaunt war, daß man vor ihn einen Sohn von Meschia bringe, so verrieten seine Ohren das nicht. Er sang:
»Sie sind hier!
Der Söhne und Töchter vier!
Sind sie falsch, so sagt wieso-o-o!
Zweifelt ihr, dann sprecht jetzo-o-o!«
Wenn die Welpen vor den Senat gebracht werden, dann dürfen ihre Eltern sie nicht verteidigen, werden sie herausgefordert; zu jeder anderen Zeit indes gilt’s als Mord, will ihnen jemand an die Kehle.
»Sprecht jetzo-o-o!« Die Mauern hallten davon wider, so daß in den Hütten des Tales die Söhne von Meschia ihre Türen verrammelten und die Töchter von Meschiane die eigenen Kinder an sich klammerten.
Dann kam der Schlachter, der hinter dem letzten Wolf gewartet hatte, hervor. »Was zögert ihr?« sagte er. »Ich bin nicht klug – ich bin viel zu stark, um klug zu sein, wie ihr wißt. Aber es sind drei Wolfwelpen hier, und der vierte ist kein Wolf, sondern meine Beute.«
Hierauf fragte der Wolf: »Mit welchem Recht erhebt er hier die Stimme? Gewiß ist er kein Wolf.«
Ein Dutzend Stimmen antwortete: »Jeder darf sprechen, wenn ein Wolf um sein Zeugnis bittet. Sprich, Schlachter!«
Nun löste die Wölfin ihr Schwert in der Scheide und bereitete sich zum letzten Kampf, falls es zum Kampf käme. Wie ein Teufel sah sie aus mit ihrem hageren Gesicht und den funkelnden Augen, denn ein Engel ist oft nur ein Teufel, der sich zwischen uns und unsere Widersacher stellt.
»Du sagst, ich sei kein Wolf«, fuhr der Schlachter fort. »Und zu Recht. Wir wissen, wie ein Wolf riecht, und kennen seine Stimme und sein Aussehen. Diese Wölfin hat diesen Sohn von Meschia zum Welpen genommen, aber wir alle wissen, eine Wölfin zur Mutter zu haben, das macht aus einem Welpen keinen Wolf.«
Der Wolf rief: »Wolf ist, wer Wölfe zum Vater und zur Mutter hat! Ich nehme diesen Welpen zum Sohn!«
Hierauf wurde Gelächter laut, und als es verklungen war, lachte einzig eine wunderliche Stimme weiter. Es war Er-der-lacht, der gekommen war, um dem Schlachter vor dem Senat der Wölfe beizustehen. Er rief: »So haben schon viele geredet, ha ha! Aber ihre Welpen hat das Rudel verspeist.«
Der Schlachter sagte: »Sie wurden wegen ihres weißen Pelzes getötet. Die Haut ist unter dem Pelz. Wie kann dieser leben? Gebt ihn mir!«
»Zwei müssen sprechen«, verkündete der Präsident. »Das ist Gesetz. Wer spricht für den Welpen hier? Er ist ein Sohn von Meschia, aber ist er auch ein Wolf? Zwei, die nicht seine Eltern sind, müssen für ihn sprechen.«
Daraufhin erhob sich der Nackte, der als Senatsmitglied gilt, weil er die jungen Wölfe lehrt. »Ich hatte noch nie einen Sohn von Meschia zum Schüler«, sagte er. »Ich könnte von ihm allerlei lernen. Ich spreche für ihn.«
»Noch einer«, sagte der Präsident, »noch einer muß für ihn sprechen.«
Es folgte nur Schweigen. Dann trottete der Schwarze Mörder von der Saalrückseite nach vorne. Jeder fürchtet den Schwarzen Mörder, denn obschon sein Kleid weich wie der Pelz des jüngsten Welpen ist, glühen seine Augen in der Nacht. »Zwei, die keine Wölfe sind, haben hier schon gesprochen«, meinte er. »Darf nicht auch ich sprechen? Ich habe Gold.« Er hielt eine Börse hoch.
»Sprich! Sprich!« tönte es ihm hundertfach entgegen.
»Das Gesetz sagt auch, das Leben eines Welpen sei zu erkaufen«, sprach der Schwarze Mörder und schüttelte Gold in seine Hand und kaufte so ein Weltreich frei.
VIERTER TEIL
Fisch und der Pflug
Wollte man alle Abenteuer von Frosch erzählen – wie er unter den Wölfen aufwuchs und das Jagen und Kämpfen lernte –, würde das viele Bücher füllen. Aber jene vom Geblüt der Bewohner des Berges jenseits der Urth spüren schließlich immer seinen Ruf; und es kam die Zeit, da er Feuer in den Senat der Wölfe trug und sagte: »Hier ist die Rote Blume. In ihrem Namen herrsche ich.« Und weil keiner gegen ihn die Stimme erhob, führte er die
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