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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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es hat sich wohl eher um Symbole und Ideogramme gehandelt, wie solche, die mehr Wissen vorgeben, als sie haben, sie verwenden, um die Schriften der Astronomen nachzuahmen.
    »Gehen wir lieber zurück«, schlug ich vor, »oder außen herum.«
    Kaum hatte ich das gesagt, als es hinter mir raschelte. Im ersten Moment hielt ich die Gestalten, die uns in den Weg traten, für glotzäugige, schwarz-weiß-rot gestreifte Teufel; dann sah ich, daß es lediglich nackte Männer mit bemalten Leibern waren. Ihre Hände waren mit stählernen Krallen versehen, die sie in die Höhe reckten. Ich zückte Terminus Est.
    »Wir lassen dich unbehelligt«, sagte einer. »Geh! Zieh weiter, wenn du willst!« Mir war, als entdeckte ich unter der Farbe die blasse Haut und das blonde Haar eines Südländers.
    »Das würd’ ich euch auch nicht raten. Diese lange Klinge wär’ euer Tod, ehe ihr mich anfassen könntet.«
    »Also geh!« erklärte mir der Blonde. »Wenn du nichts dagegen einzuwenden hast, das Kind bei uns zu lassen.«
    Hierauf blickte ich mich nach dem kleinen Severian um. Irgendwie war er von meiner Seite verschwunden.
    »Willst du ihn allerdings wiederhaben, mußt du mir dein Schwert übergeben und mit uns kommen.« Ohne ein Zeichen von Furcht schritt der bemalte Mann auf mich zu und streckte mir die Hände entgegen. Zwischen seinen Fingern standen die stählernen Krallen hervor, die an einem schmalen Eisengriff befestigt waren, den er in der Faust hielt. »Ich frag’ kein zweites Mal«, drohte er.
    Ich steckte das Schwert in die Scheide, löste das Gehenk, das die Scheide trug, und reichte ihm das Ganze.
    Er schloß die Augen. Die Lider waren mit dunklen, weißgerandeten Punkten bemalt – ähnlich der Zeichnung gewisser Raupen, die sich vor Vögeln als Schlangen ausgeben möchten. »Hat viel Blut getrunken.«
    »Ja«, sagte ich.
    Er öffnete die Augen wieder und sah mich stieren Blickes an. Sein bemaltes Gesicht war wie das seines Gefährten hinter ihm starr wie eine Maske. »Ein neu geschmiedetes Schwert hätte hier nicht viel Macht im Gegensatz zu diesem.«
    »Ich gehe davon aus, daß ich es zurückerhalte, wenn ich mit meinem Sohn weiterziehe. Was habt ihr denn mit ihm gemacht?«
    Ich bekam keine Antwort. Die beiden gingen jeweils seitlich um mich herum und marschierten in die Richtung, die der Knabe und ich eingeschlagen hatten. Einen Augenblick später folgte ich ihnen.
    Wohin man mich führte, ließe sich als Dorf bezeichnen, aber es war kein Dorf im üblichen Sinn, kein Dorf wie Saltus, nicht einmal eine solche aus Hütten bestehende Autochthonengemeinde, wofür man zuweilen den Begriff Dorf gebrauchte. Die Bäume hier waren größer und weiter voneinander entfernt als alle Waldbäume, die mir bisher zu Gesicht gekommen waren, und ihre Laubkronen bildeten ein undurchdringbares, viele hundert Ellen hoch aufgespanntes Dach über uns. Fürwahr wirkten diese Bäume so gewaltig, als stünden sie schon seit ganzen Zeitaltern; eine Treppe führte zu einer Tür in einem der Stämme, in den Fensteröffnungen gehackt worden waren. Ein mehrstöckiges Haus war im Geäst eines anderen errichtet, und ein Gebilde hing gleich einem riesigen Pirolnest in der Krone eines dritten. Offene Falltüren verrieten, daß der Boden zu unseren Füßen stollenartig unterkellert war.
    Ich wurde zu einer dieser Türen gebracht und aufgefordert, über eine grob gezimmerte, wacklige Leiter in die Dunkelheit abzusteigen. Einen Moment lang (warum, weiß ich nicht) befürchtete ich, es ginge sehr weit hinunter, in solche tiefen Höhlen, wie sie unter der nachtfinsteren Schatzkammer der Menschenaffen lägen. Dem war nicht so. Nachdem ich in einen bestimmt kaum viermal mannshohen Schacht abgestiegen war, wobei ich mich durch etwas zwängen mußte, das mir damals wie eine zerlöcherte Matte vorkam, fand ich mich in einer unterirdischen Kammer wieder.
    Die Falltür war über meinem Kopf geschlossen worden, so daß es stockfinster war. Tastend erforschte ich die Umgebung und stellte fest, daß die Kammer etwa drei auf vier Schritt maß. Boden und Wände waren aus blanker Erde und die Decke aus ungeschälten Stämmen; es war keinerlei Einrichtung vorhanden.
    Wir waren am Vormittag ergriffen worden. In sieben Wachen würde es dunkel. Vor Nachteinbruch würde man mich vielleicht jemand vorführen, der das Sagen hätte. In diesem Fall gelänge es mir unter Umständen, ihn davon zu überzeugen, daß das Kind und ich harmlos seien und in Frieden entlassen werden

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