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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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Glas überzogen. Darunter lagen feste Steine, in die an manchen Stellen dreieckige Bleiglasfenster eingelassen waren. Bei Nacht waren die Fenster von den steinernen Flächen kaum zu unterscheiden. Meris schirmte den Blick mit den Händen ab und zwinkerte die Nässe aus den Augen, um zu erkennen, wo die Fenster in den Stein eingelassen waren.
    Im Tempel Bponurs brannte stets ein Licht, und in der großen Kathedrale brannten unzählige Kerzen, die matt und verloren in der großen Halle schimmerten, aber schließlich erahnte Meris ein Leuchten. Hier musste ein Fenster sein!
    Sie zog ein Messer und löste behutsam eine Scheibe nach der anderen. Dann nahm sie eine Zange und schnitt das Bleigitter durch. Sobald die Sonne aufging, würden die Priester die Öffnung entdecken   – es gab keine Möglichkeit, wie sie diesen Einstieg tarnen konnte. Aber bis dahin würde sie weg sein, und wenn alles gut ging, hinterließ sie keine Spuren, die auf sie hindeuteten.
    Meris überlegte, ob sie ein paar Opfergaben mitgehen lassen sollte, um eine falsche Fährte zu legen. Jeder würde glauben, dass ein ganz gewöhnlicher Einbrecher den Tempel heimgesucht hatte, ein Schurke, der nicht davor zurückschreckte, die Gottheit zu bestehlen. Andererseits, das würde bedeuten, dass sie tatsächlich die Gottheit bestahl, und der Gedanke bereitete ihr Unbehagen.
    Das Loch in dem Fenster war groß genug. Meris ließ das Seil mit dem Sack hinunter und kletterte dann selbst am Seil hinterher, bis sie am Boden aufkam. Der Raum war still, bis auf einen dumpfen Hall, der ihr in den Ohren brummte und der ihr ein Gefühl von Weite vermittelte. Ein paar Tropfenfielen durch das zerstörte Fenster. Bis zum Morgen würden sie eine kleine Pfütze gebildet haben. Meris trat einen Schritt zur Seite.
    Kerzen brannten vor dem Altar, rote Lichter an einigen der Säulen, die kreisförmig unter der Kuppel angeordnet waren. Die Schatten im Tempel schienen das Licht zu erdrücken. Meris entzündete eine eigene Laterne, die sie abblenden konnte, bis nur ein dünner Strahl aus einem Spalt drang. Sie löste den Sack von dem Seil, warf ihn sich über die Schulter und schlich auf den Altar zu.
    Nachdem sie den Tod des Erzkaplans untersucht hatte, hatte sie einiges unternommen, um auch dem Tod des alten Kaisers auf den Grund zu gehen. Sie hatte die Höflinge befragt, mit denen der Kaiser zuletzt gesprochen hatte. Aber keiner der Edlen bei Hofe hatte viel Lust, mit Meris zu reden, und das merkte man auch. Zudem fand sie es schwierig, zu wissen, wer als Zeuge infrage kam oder als Mitverantwortlicher. Der kaiserliche Trakt, der heute so einsam wirkte, war zu Aredrels Zeiten ein regelrechter Ameisenhaufen gewesen. Sie hatte gehört, dass der Hofmagier Runnik seit dem Tod des Kaisers verschwunden war   – ein Mann mit üblem Leumund, dem man alles zutrauen konnte. Sie hatte die Diener des Kaisers befragt.
    Doch bei alldem fischte sie im Trüben, weil sie nicht einmal wusste, wonach sie überhaupt suchte. Beim Erzkaplan von Ebran hatte sie das Gift gefunden, und am Körper des Toten die Spuren davon. Der tote Kaiser war schon längst beigesetzt, seine Gemächer waren geräumt. Sie brauchte einen Anhaltspunkt, um die richtigen Fragen zu stellen und die Antworten gewichten zu können.
    Wer aber würde einen toten Kaiser aus seiner Gruft holen? Meris hätte nie die Erlaubnis dazu erhalten. Sogar Aruda würde davor zurückschrecken, den geweihten Boden derKathedrale aufzubrechen und die geheiligte Ruhe der Toten zu stören.
    Also war Meris nun hier und kümmerte sich selbst darum. Warum auch nicht? Sie war eine geheime Botin des kaiserlichen Kurierdienstes, daran gewöhnt, zu tun, was getan werden musste, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen.
    Meris schlich durch den gewaltigen Tempel und merkte, wie sie unwillkürlich den Kopf einzog. Es war anders als bei anderen Missionen, dass musste sie zugeben. Sie war im kaiserlichen Dienst erzogen worden, man hatte ihr immerzu eingetrichtert, dass sie nur dem Kaiser selbst verantwortlich war und dessen Hofrat. Aber jetzt war sie dem kaiserlichen Haus zu nahe gekommen, und die Grenzen verschwammen. Wenn sie jemals wieder davon loskommen wollte, musste sie ihre Aufgabe erfüllen und der Kaiserin eine Antwort liefern.
    Hinter dem Altar führte eine kleine Treppe in die Krypta der Kaiser und Metropoliten. Sie war so angelegt, dass sie fast unsichtbar blieb, bis man vor der ersten Stufe stand.
    Meris stieg hinunter, und nach einem halben Dutzend

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