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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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Schritten fiel der matte Lichtkegel ihrer Laterne auf eine kleine Pforte. Sie hatte die Werkzeuge dabei, und kurz darauf konnte sie weitergehen, noch tiefer hinab.
    Meris gelangte in eine Kammer, wo ein gewaltiger Block stand wie ein zweiter, ein unheiliger Altar, den das Licht Bponurs nie erreichte. Sie befand sich im Einbalsamierungsraum, und vor ihr lag der Bereich, wo die hochgestellten Toten nach dem Trauergottesdienst aufgebahrt wurden, bis sie für die letzte Ruhe in der Gruft vorbereitet waren. Ein eigentümlich scharfer Geruch hing in der Luft, in den dunklen Nischen in den Wänden waren Werkzeuge zu erahnen, deren Zweck Meris sich nicht näher ausmalen wollte.
    Sie ging weiter, die Laterne in der Hand, den Sack auf dem Rücken. Die Gänge unter der Kathedrale waren ein regelrechter Irrgarten aus nacktem Mauerwerk und mit großen Bodenplatten. Sie fragte sich, ob es wohl eine Verbindung gab zwischen den Katakomben und dem verrufenen Kanalsystem unter der Insel.
    An jeder großen Platte hielt Meris inne und versuchte, die verwitterte Inschrift darauf zu entziffern   – bis ihr aufging, dass sie sich diese Mühe nicht machen musste. Das Grab des letzten Kaisers war neu. Sie konnte zügig weitergehen, bis sie auf frische und unversehrte Buchstaben stieß.
    Einmal gelangte Meris in einen Gang, der unfertig wirkte. Das Mauerwerk endete vor gewachsenem Stein. Sie sah Kratzer und Riefen darin, so als hätte jemand versucht, hier einen Tunnel in den Fels zu treiben. Meris machte kehrt.
    Sie kam an mehreren Steinen vorbei, die neu aussahen. Auch wenn sie sich hinabbeugte, waren die Buchstaben schwer zu entziffern. Andere Gräber waren tatsächlich neueren Datums und die Inschriften klar: Thanes In Callindrin   /   Mein geliebter Bruder   /   Kanzler und Fürst   /   Im 24. Jahre der Herrschaft des Alkabas Io Callindrin am 4. Tage vor dem Messtag des Februar.
    Also waren nicht nur die Kaiser und Metropoliten hier unten beigesetzt, sondern auch Mitglieder der kaiserlichen Familie, vielleicht noch weitere Würdenträger.
    Meris hoffte, dass sie das richtige Grab fand, bevor der Tag anbrach.
    Und dann stand sie darauf   – auf einer Platte aus schwarzem Marmor, deren Inschrift mit Gold ausgegossen war. Aredrel Callindrin . Wer hatte so viel Mühe für den wahnsinnigen Kaiser aufgebracht? Meris hätte nicht erwartet, dass die Treue der Speichellecker und der wenigen zweifelhaften Freunde von Arudas Vater über den Tod hinausreichte. Sie behielt es im Hinterkopf   – vielleicht lohnte es sich, einmal zu überprüfen, wer genau die Einzelheiten der Bestattung verfügt hatte.
    Sie breitete das Werkzeug aus dem Sack vor sich auf demBoden aus und stemmte die Platte mit einem Brecheisen hoch. Es war ein hartes Stück Arbeit, bis der Leichnam endlich offen vor ihr lag. Aredrel bot keinen schönen Anblick. Die Haut war verfärbt und aufgedunsen, Maden bohrten sich aus dem Fleisch. Ein pelziger Belag überzog die Kleidung auf dem Bauch des Kaisers, der ganz eingesunken war.
    Meris beträufelte ein Tuch mit Duftöl und band es sich vor das Gesicht. Sie zog Handschuhe aus gut eingefettetem Leder über die Stoffhandschuhe und streifte sich eine Schürze über. Dann beugte sie sich vor und nahm den Toten genauer in Augenschein.
    An den Schleimhäuten im Mund und an den Blutgefäßen in den Augen konnte sie einige Veränderungen feststellen. Aber sie musste den Leib aufschneiden, um sicherzugehen. Sie schnitt die Kleider von oben nach unten auf und vollführte einen Schnitt längs über den Bauch. Die Leber war in einem Zustand, der nicht allein von der Fäulnis herrühren konnte, auch wenn es aussah wie fortgeschrittene Verwesung. Die Nieren und der Darm wiesen gleichfalls Anzeichen auf, die davon zeugten, dass sie schon abgestorben waren, als der Kaiser noch lebte.
    Meris schloss den Körper des Kaisers wieder, so gut sie es vermochte. Sie bettete ihn zurück in seinen Sarg und schob die Bodenplatte darüber. Sie zog die Handschuhe und die Schürze aus und blendete die Laterne auf, um die Grabstelle genauer zu betrachten. Sie hatte über dem offenen Grab gearbeitet, und deswegen waren zum Glück kaum Spuren zurückgeblieben.
    Sie wischte die Flecken, die sie fand, mit der Innenseite der Schürze fort. Der Gestank war selbst durch das Tuch fast unerträglich, aber er würde hoffentlich verflogen sein, bis zum nächsten Mal ein Mönch so tief in diese Katakomben vordrang. Als sie sicher war, dass sie die Spuren ihrer

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