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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Wort. »Mir ist es gleichgültig, was er denkt. Vielleicht hasst er meinen Anblick und lässt mich in Ruhe!«
    Dann schämte sie sich wieder, weil ihre Worte so kindisch waren.
    Schließlich kamen sie zu der Bergstadt Tsuwano, nachdem sie am Ende des Tages durch einen engen Pass geritten waren, wo die Bergketten schon schwarz vor der sinkenden Sonne standen. Die Brise zog durch die Terrassenfelder wie eine Welle durchs Wasser, Lotuspflanzen hoben die riesigen jadegrünen Blätter, und um die Felder blühten Wiesenblumen in einer unbeschreiblichen Farbenpracht. Die letzten Sonnenstrahlen färbten die weißen Mauern der Stadt rosa und golden.
    »Das sieht wie ein glücklicher Ort aus!«, rief Kaede aus.
    Lady Maruyama, die unmittelbar vor ihr ritt, drehte sich im Sattel um. »Wir sind nicht mehr im Tohanland. Hier beginnt das Lehnsgut der Otori. Hier werden wir auf Lord Shigeru warten.«
    Am nächsten Morgen brachte Shizuka seltsame Kleider statt Kaedes üblicher Gewänder.
    »Sie sollen den Umgang mit dem Schwert lernen, Lady«, verkündete sie und zeigte Kaede, wie sie sich anziehen sollte. Dann betrachtete sie ihre Herrin beifällig. »Bis auf das Haar könnte Lady Kaede als Junge durchgehen.« Sie hob das schwere Haar aus Kaedes Gesicht und band es mit einem Lederband zurück.
    Kaede fuhr sich mit den Händen über den Körper. Die Kleidung bestand aus rauem, dunklem Hanftuch und saß locker. So etwas hatte sie noch nie getragen. Ihr Körper war verhüllt; das gab ihr ein Gefühl der Freiheit. »Wer sagt, dass ich das lernen soll?«
    »Lady Maruyama. Es wird mehrere Tage, vielleicht eine Woche dauern, bis die Otori kommen. Sie möchte, dass Sie beschäftigt sind, statt sich Sorgen zu machen.«
    »Sie ist sehr freundlich. Wer wird es mir beibringen?«
    Shizuka kicherte und gab keine Antwort. Sie führte Kaede von ihrer Herberge über die Straße zu einem langen, niedrigen Gebäude mit Holzboden. Hier zogen sie die Sandalen aus und schlüpften in Tabi, Stiefel mit abgeteilter großer Zehe. Shizuka reichte Kaede eine Maske, mit der sie ihr Gesicht schützen sollte, und nahm zwei lange Holzstangen aus einem Gestell an der Wand.
    »Hat die Lady je gelernt, damit zu kämpfen?«
    »Als Kind natürlich«, antwortete Kaede. »Als ich gerade gehen konnte.«
    »Dann werden Sie sich daran erinnern.« Shizuka gab Kaede eine Stange, nahm die andere fest in beide Hände und führte eine fließende Reihe von Bewegungen aus, bei denen die Stange schneller durch die Luft sauste, als das Auge folgen konnte.
    »So nicht!«, gab Kaede verblüfft zu. Sie hätte es Shizuka kaum zugetraut, die Stange zu heben, und schon gar nicht, sie mit solcher Kraft und Gewandtheit zu schwingen.
    Shizuka kicherte wieder und verwandelte sich unter Kaedes Augen von der angespannten Kämpferin in die zerstreute Dienerin. »Lady Kaede wird feststellen, dass alles wieder zurückkommt! Lassen Sie uns anfangen.«
    Kaede fror trotz der Wärme des Sommermorgens. »Bist du die Lehrerin?«
    »Oh, ich kann nur wenig, Lady. Sie können wahrscheinlich genauso viel. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen etwas beibringen kann.«
    Aber obwohl Kaede feststellte, dass sie sich an die Bewegungen erinnerte, obwohl sie eine gewisse natürliche Begabung und den Vorteil der Größe hatte, übertraf Shizukas Geschicklichkeit alles, was sie selbst zustande brachte. Am Ende des Morgens war sie erschöpft, nass geschwitzt und kochte vor Empörung. Shizuka, die als Dienerin alles Erdenkliche tat, um Kaede zufrieden zu stellen, war als Lehrerin völlig rücksichtslos. Jeder Schlag musste fehlerlos ausgeführt werden. Immer wieder, wenn Kaede glaubte, endlich den Rhythmus zu finden, unterbrach Shizuka sie und wies höflich daraufhin, dass ihr Gewicht auf dem falschen Fuß lag oder dass sie sich eine Blöße für den Todesstoß gab, falls sie mit Schwertern gekämpft hätten. Schließlich erklärte sie die Lektion für beendet, tat die Stangen wieder ins Gestell, nahm die Masken ab und trocknete Kaede das Gesicht mit einem Handtuch.
    »Das war gut«, sagte sie. »Lady Kaede hat viel Geschick. Wir werden bald die verlorenen Jahre aufgeholt haben.«
    Die körperliche Tätigkeit, der Schock über Shizukas Können, die Wärme des Morgens, die ungewohnte Kleidung, das alles trug dazu bei, Kaedes Selbstbeherrschung zu erschüttern. Sie griff nach dem Handtuch und verbarg darin ihr Gesicht, während sie von Schluchzen geschüttelt wurde.
    »Lady«, flüsterte Shizuka, »Lady, weinen Sie nicht.

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