Das Schwert in Der Stille
ist sie freundlich, im nächsten Augenblick starrt sie mich an, als sei ich Gift für sie.«
»Das bilden Sie sich ein«, sagte Shizuka leichthin. »Lady Maruyama mag Sie sehr gern. Von allem anderen abgesehen sind Sie nach ihrer Tochter ihre nächste weibliche Verwandte.«
»Wirklich?« Shizuka nickte nachdrücklich, und Kaede fragte: »Ist das so wichtig?«
»Wenn ihnen etwas zustößt, sind Sie es, die Maruyama erbt. Niemand hat Ihnen das gesagt, weil die Tohan immer noch hoffen, die Domäne in ihre Gewalt zu bekommen. Das ist einer der Gründe, warum Iida darauf bestand, dass Sie als Geisel zu den Noguchi gehen.«
Als Kaede nicht antwortete, fuhr Shizuka fort: »Meine Lady ist sogar noch wichtiger, als sie dachte!«
»Mach dich nicht lustig über mich! Ich fühle mich in dieser Welt verloren. Ich komme mir vor, als wüsste ich gar nichts!«
Kaede ging völlig verwirrt zu Bett. Sie merkte, dass auch Lady Maruyama eine unruhige Nacht verbrachte, am nächsten Morgen sah die schöne Lady müde und abgespannt aus. Aber sie war freundlich zu Kaede, und als sie loszogen, sorgte sie dafür, dass dem Mädchen ein sanftes braunes Pferd zur Verfügung gestellt wurde. Sugita hob sie hinauf, und zuerst ging einer der Männer nebenher und führte das Pferd. Kaede erinnerte sich an die Ponys, die sie als Kind geritten hatte, und bald wandte sie wieder an, was sie damals gelernt hatte. Shizuka ließ sie nicht den ganzen Tag reiten; sie sagte, ihre Muskeln würden zu sehr schmerzen und sie würde zu müde sein, doch Kaede war liebend gern auf dem Pferderücken und konnte es nicht abwarten, wieder aufzusteigen. Der Rhythmus des Pferdeschritts beruhigte sie etwas und half ihr, ihre Gedanken zu ordnen. Am meisten erschreckten sie ihr Mangel an Erziehung und ihre Unkenntnis der Welt, in die sie eintrat. Sie war eine Schachfigur im großen Spiel der Kriegsherren, doch sie sehnte sich danach, mehr zu sein, die Züge des Spiels zu verstehen und selbst welche auszuführen.
Zwei Dinge geschahen, die sie noch mehr beunruhigten. Eines Nachmittags hatten sie zu einer ungewöhnlichen Zeit an einer Kreuzung Rast gemacht, als eine kleine Reitergruppe aus dem Südwesten zu ihnen stieß, als sei das verabredet. Shizuka lief zu ihnen hin und begrüßte sie, wie es ihre Art war, sie wollte erfahren, woher die Reiter kamen und welchen Klatsch sie vielleicht mitbrachten. Kaede beobachtete sie, ohne sich dabei etwas zu denken, und sah, dass sie mit einem der Männer sprach. Er beugte sich aus dem Sattel, um ihr etwas mitzuteilen. Shizuka nickte tiefernst und gab dem Pferd dann einen Klaps auf die Flanke. Es sprang vorwärts. Die Männer lachten laut, gefolgt von Shizukas hohem Gekicher, aber in diesem Augenblick war es Kaede, als sehe sie etwas Neues an dem Mädchen, das ihre Dienerin geworden war, eine Intensität, die Kaede verwirrte.
Den Rest des Tages war Shizuka wie sonst. Sie jubelte über die Schönheiten der Landschaft, pflückte Sträuße von Wiesenblumen, wechselte Grüße mit jedem, der ihr begegnete, aber als Kaede am Abend in der Herberge ins Zimmer kam, redete Shizuka ernst mit Lady Maruyama; dabei verhielt sie sich nicht wie eine Dienerin, sondern saß Knie an Knie mit ihrer Gesprächspartnerin, als sei sie ihresgleichen.
Die Unterhaltung wandte sich sofort dem Wetter und den Vorbereitungen für den nächsten Tag zu, doch Kaede kam sich betrogen vor. Shizuka hatte zu ihr gesagt: Leute wie ich lernen Leute wie sie nicht kennen. Aber zwischen beiden bestand offenbar eine Beziehung, von der Kaede nichts gewusst hatte. Das machte sie misstrauisch und ein wenig eifersüchtig. Sie verließ sich inzwischen auf Shizuka und wollte sie nicht mit anderen teilen.
Die Hitze wurde intensiver und die Reise beschwerlicher. Eines Tages bebte die Erde mehrmals und Kaede fühlte sich noch unbehaglicher. Sie schlief schlecht, Verdächtigungen plagten sie ebenso wie Flöhe und andere Nachtinsekten. Sie sehnte sich nach dem Ende der Reise und fürchtete zugleich die Ankunft. Jeden Tag beschloss sie, Shizuka zu befragen, doch jeden Abend hielt etwas sie davor zurück. Lady Maruyama behandelte sie weiter freundlich, doch Kaede traute ihr nicht und reagierte vorsichtig, zurückhaltend. Dann kam sie sich undankbar und kindisch vor. Sie verlor wieder ihren Appetit.
Shizuka schalt sie am Abend im Bad. »Alle Ihre Knochen stehen vor, Lady. Sie müssen essen! Was soll Ihr Ehemann denken?«
»Hör auf, von meinem Ehemann zu reden!«, fiel Kaede ihr ins
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