Das Schwert in Der Stille
sie. Aber wie kann ich ihn heiraten? Sie merkte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss.
»Diese Kräuter versagen nie«, sagte der Mann links neben Lord Otori. Kaede erkannte die Stimme des Alten, dem sie den Tee verdankte, des Mannes, den Shizuka Onkel genannt hatte. »Lady Shirakawa geht der Ruf großer Schönheit voraus, aber der Ruf wird ihr kaum gerecht.«
Lady Maruyama entgegnete: »Du schmeichelst ihr, Kenji. Wenn ein Mädchen mit fünfzehn nicht schön ist, wird sie es nie.«
Kaede spürte, wie sie noch mehr errötete.
»Wir haben Ihnen Geschenke mitgebracht«, sagte Lord Otori. »Sie verblassen neben Ihrer Schönheit, aber bitte nehmen Sie sie an als Beweis meiner tiefsten Ehrerbietung und der Ergebenheit der Otori. Takeo.«
Kaede fand, dass der Lord das gleichgültig, sogar kühl sagte, und nahm an, dass er wohl immer so für sie empfinden würde.
Der Junge stand auf und holte ein Lacktablett. Darauf lagen Päckchen, die in hellrosa Seidenkrepp mit dem Wappen der Otori eingewickelt waren. Takeo kniete sich vor Kaede und reichte es ihr.
Sie verbeugte sich dankend.
»Das ist Lord Otoris Schützling und Adoptivsohn«, sagte Lady Maruyama. »Lord Otori Takeo.«
Kaede wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu schauen. Stattdessen betrachtete sie seine Hände. Sie waren langfingrig, geschmeidig und wunderschön geformt. Die Haut hatte eine Farbe zwischen Honig und Tee, die Nägel waren blasslila getönt. Kaede spürte die Stille in ihm, als würde er horchen, immerzu horchen.
»Lord Takeo«, flüsterte sie.
Er war noch kein Mann wie die Männer, die sie fürchtete und hasste. Er war in ihrem Alter, sein Haar und seine Haut waren ebenso jugendlich. Die intensive Neugier von zuvor überkam sie erneut. Sie wollte alles über ihn wissen. Warum hatte Lord Otori ihn adoptiert? Wer war er wirklich? Was hatte ihn so traurig gemacht? Und warum glaubte sie, er könne die Gedanken ihres Herzens hören?
»Lady Shirakawa.« Er sprach leise mit einem leicht östlichen Anklang.
Sie musste ihn anschauen. Sie hob die Augen und begegnete seinem Blick. Er starrte sie fast verwirrt an, und sie spürte, wie etwas zwischen ihnen aufkam, als hätten sie sich berührt über den Abstand hinweg, der sie trennte.
Der Regen hatte etwas nachgelassen, doch jetzt begann er wieder mit einem trommelnden Rauschen, das ihre Worte fast übertönte. Auch der Wind erhob sich, ließ die Lampenflammen tanzen und die Schatten an den Wänden aufragen.
Ich möchte für immer hier bleiben, dachte Kaede.
Lady Maruyama sagte scharf: »Er hat dich gesehen, aber ihr seid euch nicht vorgestellt worden: Das ist Muto Kenji, ein alter Freund von Lord Otori und Lord Takeos Lehrer. Er wird Shizuka bei deiner Unterrichtung helfen.«
»Sir.« Unter gesenkten Wimpern warf sie ihm einen Blick zu. Er schaute sie mit unverhohlener Bewunderung an und schüttelte dabei wie ungläubig leicht den Kopf. Er scheint ein netter alter Mann zu sein, dachte Kaede, und dann: Aber er ist gar nicht so alt! Sein Gesicht schien sich vor ihren Augen zu verändern.
Sie spürte, wie der Boden unter ihr von ganz leichtem Beben erschüttert wurde. Alle schwiegen, aber draußen schrie jemand überrascht auf. Dann hörte man wieder nur den Wind und den Regen.
Ein Frösteln überlief Kaede. Sie durfte keines ihrer Gefühle zeigen. Nichts war, was es schien.
KAPITEL 7
Nach meiner offiziellen Aufnahme in den Clan sah ich mehr von den gleichaltrigen jungen Männern aus den Kriegerfamilien. Ichiro war ein gefragter Lehrer, und weil er schon mich in Geschichte, Religion und den klassischen Künsten unterwies, erklärte er sich bereit, auch andere Schüler anzunehmen. Unter ihnen war Miyoshi Gemba, der mit seinem älteren Bruder Kahei zu einem meiner engsten Verbündeten und Freunde werden sollte. Kahei war schon in den Zwanzigern und zu alt für Ichiros Unterricht, aber er half, den jüngeren Männern die Künste des Krieges zu lehren.
Zu diesen Lektionen ging ich jetzt zu den Männern des Clans in der großen Halle gegenüber dem Schloss, wo wir mit Stangen kämpften und andere Kampftechniken lernten. Mit Pfeil und Bogen machte ich keine Fortschritte, aber mit der Stange und dem Schwert kam ich gut zurecht. Jeden Morgen ritt ich nach zwei Stunden Schreibübungen bei Ichiro mit einigen Männern durch die gewundenen Straßen der Stadt und verbrachte vier bis fünf Stunden mit hartem Training.
Am späten Nachmittag kam ich mit anderen Schülern zu Ichiro zurück, und wir bemühten uns,
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