Das Schwert in Der Stille
Sie haben nichts zu fürchten.«
»Wer bist du wirklich?«, rief Kaede. »Warum gibst du vor zu sein, was du nicht bist? Du hast mir gesagt, du würdest Lady Maruyama nicht kennen!«
»Ich wollte, ich könnte Ihnen alles sagen, aber das ist noch nicht möglich. Doch ich habe hier die Aufgabe, Sie zu beschützen. Zu diesem Zweck hat Arai mich geschickt.«
»Du kennst auch Arai? Du hast damals nur gesagt, dass du aus seiner Stadt kommst.«
»Ja, aber es verbindet uns mehr als nur die gemeinsame Herkunft. Er hat die größte Hochachtung vor Ihnen und fühlt sich in Ihrer Schuld. Als Lord Noguchi ihn ins Exil schickte, war Arai sehr zornig. Er fühlte sich durch Noguchis Misstrauen ebenso beleidigt wie durch die Art, mit der Sie behandelt wurden. Als er hörte, dass Sie zur Hochzeit nach Inuyama geschickt werden sollten, hat er dafür gesorgt, dass ich Sie begleite.«
»Warum? Bin ich dort in Gefahr?«
»Inuyama ist ein gefährlicher Ort. Jetzt umso mehr, als die drei Länder kurz vor einem Krieg stehen. Sobald das Bündnis mit den Otori durch Ihre Hochzeit besiegelt ist, wird Iida gegen die Seishuu im Westen kämpfen.«
In dem kahlen Raum fielen schräge Sonnenstrahlen durch den Staub, den ihre Füße aufgewirbelt hatten. Hinter den Gitterfenstern hörte Kaede das Wasser in den Kanälen fließen, Straßenverkäufer schreien, Kinder lachen. Diese Welt schien so einfach und offen zu sein ohne die dunklen Geheimnisse ihrer eigenen.
»Ich bin nur eine Schachfigur auf dem Brett«, sagte sie bitter. »Du wirst mich so schnell opfern, wie die Tohan es tun würden.«
»Nein, Arai und ich sind Ihre Diener, Lady. Er hat geschworen, Sie zu beschützen, und ich gehorche ihm.« Sie lächelte; plötzlich sah sie leidenschaftlich aus.
Sie lieben sich, dachte Kaede und spürte wieder einen Stich der Eifersucht, weil sie Shizuka mit einem anderen teilen musste. Sie wollte fragen: Was ist mit Lady Maruyama? Was ist ihre Rolle in dem Spiel? Und was ist mit dem Mann, den ich heiraten soll? Aber sie fürchtete die Antwort.
»Es ist zu heiß, um heute noch mehr zu üben.« Shizuka nahm Kaede das Handtuch ab und trocknete ihr die Augen. »Morgen werde ich Sie lehren, das Messer zu gebrauchen.«
Als sie aufstanden, fügte sie hinzu: »Behandeln Sie mich wie bisher. Ich bin Ihre Dienerin, sonst nichts.«
»Ich sollte um Entschuldigung bitten, weil ich dich manchmal schlecht behandelt habe«, sagte Kaede unbeholfen.
»Das haben Sie nie getan!« Shizuka lachte. »Sie waren höchstens viel zu nachsichtig. Die Noguchi mögen Ihnen nichts Nützliches beigebracht haben, doch immerhin haben Sie von ihnen nicht Grausamkeit gelernt.«
»Ich habe sticken gelernt«, sagte Kaede. »Aber mit einer Nadel kann man keinen töten.«
»O doch«, antwortete Shizuka lässig. »Ich werde es Ihnen eines Tages zeigen.«
Eine Woche warteten sie in der Bergstadt auf die Ankunft der Otori. Das Wetter wurde drückender und schwüler. Gewitterwolken sammelten sich jede Nacht um die Berggipfel, und in der Ferne blitzte es, doch es regnete nicht. Jeden Tag lernte Kaede mit Schwert und Messer zu kämpfen. Der Unterricht begann bei Tagesanbruch vor der schlimmsten Hitze und dauerte drei Stunden lang, während ihr der Schweiß über Gesicht und Körper rann. Eines Tages schließlich hörten sie am Ende des Morgens, als sie sich mit kaltem Wasser die Gesichter wuschen, neben den üblichen Straßengeräuschen Pferdegetrappel und Hundegebell.
Shizuka winkte Kaede ans Fenster. »Schauen Sie! Hier sind sie! Die Otori sind hier.«
Kaede spähte durch die Gitter. Die Reitergruppe näherte sich im Trab. Die meisten Männer trugen Helme und Rüstung, aber auf einer Seite ritt ein barhäuptiger Junge, der nicht viel älter war als sie. Kaede sah die Kurve seiner Wangenknochen, den seidigen Glanz seines Haars.
»Ist das Lord Shigeru?«
»Nein.« Shizuka lachte. »Lord Shigeru reitet voraus. Der junge Mann ist sein Schützling, Lord Takeo.«
Sie betonte das Wort Lord auf eine ironische Art, an die Kaede sich später erinnern würde, doch im Augenblick bemerkte sie es kaum, denn der Junge wandte den Kopf und schaute sie an, als habe er seinen Namen gehört.
Seine Augen verrieten ein tiefgründiges Gemüt, sein Mund war empfindsam und in seinen Zügen sah sie Energie und Trauer. Das weckte etwas in ihr, eine Art Neugier, mit Sehnsucht vermischt, ein Gefühl, das sie nicht kannte.
Die Männer ritten weiter. Als der Junge nicht mehr in Sicht war, kam es Kaede vor, als
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