Das Schwert in Der Stille
habe sie einen Teil von sich verloren. Wie eine Schlafwandlerin folgte sie Shizuka zurück in die Herberge. Als sie dort ankamen, zitterte sie wie im Fieber. Shizuka deutete das völlig falsch und versuchte sie zu beruhigen.
»Lord Otori ist ein gütiger Mann, Lady. Niemand wird Ihnen etwas tun.«
Kaede sagte nichts, sie wagte nicht den Mund aufzumachen, denn das einzige Wort, das sie aussprechen wollte, war sein Name. Takeo.
Shizuka versuchte sie zum Essen zu bewegen - zuerst Suppe, um sie zu wärmen, dann kalte Nudeln, um sie abzukühlen -, doch sie konnte nichts schlucken. Shizuka zwang sie, sich hinzulegen. Kaede schauderte unter der Decke, ihre Augen glänzten, die Haut war trocken, der Körper für sie so unberechenbar wie eine Schlange.
Donner krachte in den Bergen und die Luft war voller Feuchtigkeit.
Besorgt schickte Shizuka nach Lady Maruyama. Als diese ins Zimmer trat, folgte ihr ein alter Mann.
»Onkel!« Shizuka begrüßte ihn mit einem Freudenschrei.
»Was ist geschehen?« Lady Maruyama kniete sich neben Kaede und legte ihr die Hand auf die Stirn. »Sie ist heiß; sie muss sich erkältet haben.«
»Wir haben trainiert«, erklärte Shizuka. »Dann sahen wir die Otori ankommen und sie schien plötzlich Fieber zu haben.«
»Kannst du ihr etwas geben, Kenji?«, fragte Lady Maruyama.
»Sie fürchtet die Hochzeit«, sagte Shizuka leise.
»Ein Fieber kann ich heilen, doch das nicht«, sagte der Alte. »Ich werde einen Kräutertee zubereiten lassen. Der wird sie beruhigen.«
Kaede lag ganz still und mit geschlossenen Augen da. Sie konnte die Stimmen deutlich hören, aber sie schienen aus einer anderen Welt zu kommen, aus der sie in dem Moment herausgerissen worden war, in dem ihr und Takeos Blick sich begegnet waren. Sie setzte sich auf, um den Tee zu trinken, Shizuka hielt ihr dabei den Kopf, als wäre sie ein Kind, dann sank sie in einen leichten Schlaf. Ein Donnerschlag im Tal weckte sie. Das Unwetter war schließlich ausgebrochen und der Regen prasselte herab, schlug auf die Dachziegel und strömte über die Pflastersteine. Kaede hatte lebhaft geträumt, doch sobald sie die Augen öffnete, verschwand der Traum und ließ ihr nur die klare Erkenntnis zurück, dass es Liebe war, was sie empfand.
Sie war erstaunt, dann begeistert, dann entsetzt. Zuerst dachte Kaede, sie würde sterben, wenn sie Takeo sähe, dann, dass sie sterben würde, wenn sie ihn nicht sähe. Sie machte sich Vorwürfe. Wie konnte sie sich in den Schützling des Mannes verlieben, den sie heiraten sollte? Und dann dachte sie: Welche Heirat? Lord Otori konnte sie nicht heiraten. Sie würde keinen heiraten außer Takeo. Und dann lachte sie über ihre eigene Dummheit. Als ob jemand aus Liebe heiraten würde! Das ist eine Katastrophe, dachte sie in einem Augenblick, und im nächsten: Wie kann dieses Gefühl eine Katastrophe sein?
Als Shizuka zurückkam, bestand Kaede darauf, dass sie sich erholt habe. Tatsächlich war das Fieber zurückgegangen, einer Intensität gewichen, die ihre Augen leuchten und ihre Haut schimmern ließ.
»Sie sind schöner als je zuvor!«, rief Shizuka, als sie Kaede badete und ihr die Gewänder anzog, die für ihre Verlobung bestimmt waren, für das erste Treffen mit dem künftigen Ehemann.
Lady Maruyama begrüßte sie beunruhigt, erkundigte sich nach ihrer Gesundheit und stellte erleichtert fest, dass es ihr besser ging. Doch Kaede spürte die Nervosität der Älteren, als sie ihr in das beste Zimmer der Herberge folgte, das für Lord Otori vorbereitet worden war.
Sie hörte die Männer reden, als die Diener die Türen aufschoben, doch bei ihrem Eintreten verstummten sie. Kaede verbeugte sich bis zum Boden, und während ihr bewusst war, dass sie angestarrt wurde, wagte sie nicht aufzublicken. Ihr Herz jagte und sie fühlte jeden Pulsschlag in ihrem Körper.
»Das ist Lady Shirakawa Kaede«, sagte Lady Maruyama. Kaede fand den Ton kalt und fragte sich wieder, womit sie die Lady verstimmt haben könnte.
»Lady Kaede, ich stelle dir Lord Otori Shigeru vor.« Jetzt war Lady Maruyamas Stimme so schwach, dass man sie kaum hören konnte.
Kaede setzte sich auf. »Lord Otori«, murmelte sie und hob den Blick zum Gesicht des Mannes, den sie heiraten sollte.
»Lady Shirakawa«, entgegnete er sehr höflich. »Wir haben gehört, dass Sie sich nicht wohl fühlten. Haben Sie sich erholt?«
»Danke, es geht mir gut.« Sie sah die Güte in seinem Blick, sein Gesicht gefiel ihr. Er verdient seinen guten Ruf, dachte
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