Das Schwert - Thriller
eine Anstandsdame mitnehmen, Schwester Clare vielleicht.«
Samiha schüttelte lächelnd den Kopf.
»Keine Anstandsdamen. Ich habe es satt, dass verschleierte Frauen mir sagen, was ich tun darf und was nicht.«
Sie stiegen noch am selben Abend in den Expresszug. Jack buchte Zimmer für Samiha, die drei Kinder und sich selbst im Salamlek Palace Hotel. Das Salamlek war das prachtvolle Jagdhaus des Chediven Abbas Helmi II. gewesen, in dem er seine aus Österreich-Ungarn stammende Mätresse einquartiert hatte, Gräfin May Torok von Szendro. Es stand inmitten herrlicher Gärten mit Aussicht auf die weißen Sandstrände von Muntaza.
Samiha hatte in ihrem ganzen Leben nie solchen Luxus gesehen. Er widerlegte alles, was sie bisher von der Welt gewusst hatte. Sie kannte nur Schroffheit und das Recht der Gewalt. Trotzdem beeindruckte die Pracht des Hauses sie wenig, die livrierten Diener, die Kronleuchter, der Marmor, die Intarsiendecken und am wenigsten das Kasino.
Die Schönheit des Parks aber, mit den hohen Palmen, den blühenden Büschen, den schweren Düften und dem Ausblick von der Terrasse, dazu die sanfte Brise, die über das Meer hereinwehte, ließen in ihr den zaghaften Glauben an die Möglichkeit des Guten im Leben erwachen.
Am zweiten Tag gingen sie und Jack mit den Kindern hinunter zum Strand. Adnan, Nabil und Naomi spielten stundenlang am Ufer, liefen den Wellen entgegen und flüchteten kreischend vor Vergnügen, wenn sie angerollt kamen; Adnan jagte mit dem ganzen Ungestüm des Neunjährigen seinen Plastikball über den Sand. Jack brachte ihm bei, mit Schaufel und Eimer, die er im Hotelshop gekauft hatte, eine Sandburg zu bauen.
Als die Kinder sich ausgetobt hatten und hungrig wurden, breitete Samiha die Stranddecke aus und öffnete den vom Hotel vorbereiteten Picknickkorb. Sie hatten den Strand fast für sich allein. Neben dem Rumpf eines ausgemusterten Ruderboots bellte ein Hund und wurde von einer gedämpften Stimme ermahnt zu schweigen.
Ein Schwarm Möwen vollführte mit steifen Flügeln einen kühnen Schwenk gegen den Wind. Samiha verfolgte ihre Manöver mit leicht geöffnetem Mund, auf der Zunge den bittersalzigen Geschmack der Seeluft. Der Wind kam vom Mittelmeer und war frei vom Atem Ägyptens. Man hörte nichts als das Rauschen der Wellen und die Stimmen der Kinder weiter hinten am Strand. Ein Rettungsschwimmer des Hotels stand in diskreter Entfernung und hatte ein wachsames Auge auf sie.
Die Kinder waren damit beschäftigt, den Picknickkorb leerzufuttern und Limonade zu trinken, derweil brachen Jack und Samiha zu einem Strandspaziergang auf. Sie gingen nebeneinander her, die Finger locker ineinander verschränkt.
»Ich habe immer noch Alpträume«, bekannte Jack.
»Das ist nicht verwunderlich. Du solltest dir jemanden suchen, mit dem du reden kannst.«
»Ich rede mit dir«, sagte er, und sie lächelte. Kein Psychologe würde ihn je so verstehen wie sie.
»Dann rede.«
Er schwieg noch ein paar Schritte, bis er schließlich aussprach, was ihn beschäftigte.
»Samiha, hast du darüber nachgedacht, wohin du von hier aus gehen willst?«
»Ein bisschen. Ich kann nicht nach Hause zurück, das weiß ich. Nach Israel kann ich vielleicht, wenn sie mich nehmen. Oder nach Jordanien. Oder nach Kairo. Ich weiß es nicht.«
»Samiha, die Wahrheit ist, ich brauche jemanden, der sich um Naomi kümmert. Ich allein schaffe das nicht. Du ... Sie kennt dich sehr gut. Sie sagt, sie hat dich gern. Und – sie fragt dauernd, wann ich dich heirate.«
Er schaute sie an und sah, dass ihr eine brennende Röte in die Wangen gestiegen war.
»Selbstverständlich ist es viel zu früh, um an so etwas zu denken«, beeilte er sich, seine ungeschickte Bemerkung gutzumachen. »An Heirat oder ...«
»Schon gut«, sagte Samiha. »Wir kennen uns ja kaum. Naomi ist einfach die geborene Ehestifterin, weiter nichts.«
»Es ist nur ...«
Sie trat dicht an ihn heran und streifte mit den Fingerspitzen über seine Wange. Er legte eine Hand hinter ihren Kopf und zog sie näher zu sich. Ihre Lippen trafen sich. Eswar der zarteste aller Küsse, ein erster Kuss, als wären sie Teenager, noch unbeholfen und voller Scheu. Als sie sich voneinander lösten, nach langen Minuten, schien die Welt verändert, neu, als hätten die Stück um Stück zurückflutenden Wasser ihr altes Leben mitgenommen, um es tief unten am Meeresgrund zu begraben.
Sie küssten sich noch einmal, zum Flüstern der an den Strand laufenden Wellen. Als sie diesmal
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