Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
zurück in die enge Schlucht zu gelangen.
Noch eine Faser. Konrad zerrte an dem Strick. Das Kalb rutschte einen Schritt weit durch den Staub, aber der Hanf hielt.
»Sie legen an.« Konrads Stimme zitterte. Dann streckte er sich so plötzlich, dass ich mit der Klinge abglitt und eine blutige Spur auf seinem Handrücken hinterließ. Er schien es nicht einmal zu bemerken. »Da ist Hugo. – Hugo!«, schrie er lauter. »Hilf uns!«
Es hatte keinen Zweck, der Lärm war zu groß. Konrad sprang hoch, winkte mit der freien Hand. Ich hielt ihn fest. Der nächste Atemzug konnte bereits eine erneute Pfeilsalve bringen, aber der Strick war erst zur Hälfte durchtrennt.
»Zieh!« Ich schrie Konrad an, ließ das Messer fallen und ergriff den Strick mit beiden Händen. Zusammen mit Konrad zog ich das Kalb hinter uns her. Der tote Leib rutschte durch Staub, dann durch hohes Gras. Steine, die wir nicht einmal sahen, wurden zu zusätzlichen Hindernissen. Wir zogen und rissen an dem Strick. Blut lief über Konrads Handgelenk. Sein Gesicht war verzerrt.
Erik kroch unter dem umgestürzten Karren hervor, nur wenige Schritte von uns entfernt.
»Bleib darunter!«, rief ich. »Sie schießen gleich!«
Ich stellte mir die Männer vor, die auf dem Hügel standen, wie sie die Sehnen ihrer Bögen zurückzogen, wie die Federn der Pfeile ihre Wangen kitzelten, wie sie an den Eisenspitzen vorbei mit zusammengekniffenen Augen ins Tal blickten und nach Zielen suchten. Wie sie die Sehnen losließen. Wie die Pfeile davonschnellten.
»Komm nicht raus!«
Erik hörte nicht auf mich. Mit wenigen Schritten war er bei uns, griff nach dem Strick und zog und zerrte. Das Kalb – es musste sich zwischen Steinen verfangen haben – bewegte sich nicht, doch der Strick riss, und wir stolperten zurück. Konrad und Erik fielen ins Gras, ich fing mich. »Unter den Karren! Los!«
Es war zu spät. Das Summen des Bienenschwarms kam erneut über uns.
Pfeile bohrten sich ins Gras und schlugen dumpf in das Holz des Karrens ein. Schreie stiegen in den Himmel wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm, darunter auch der eines Jungen direkt neben mir.
Ich fuhr herum. Konrad hockte im Gras, die Arme um den eigenen Körper geschlagen, die Augen aufgerissen. Erik lag vor ihm. Er wand sich schreiend. Ich fragte mich, ob Gott mir die Erleichterung verzeihen würde, die ich beim Anblick des Pfeils in Eriks Oberschenkel verspürte. Konrad war nicht getroffen worden.
»Unter den Karren!« Ich packte Erik an den Schultern und begann zu ziehen. Er schrie auf, riss ganze Grasbüschel aus dem Boden, als sich seine Hände zu Fäusten zusammenkrampften, wehrte sich aber nicht. Konrad erreichte den Karren als Erster. Er kroch darunter und warf die Säcke heraus, die dort lagen, schaffte Platz.
Trotzdem wurde es eng, als ich ihm folgte und Erik mit einem letzten Ruck unter das Holz zog. Dunkles Mehl stieg in Wolken um uns auf. Es legte sich auf Haare, Kleidung und Haut. Konrad hustete und nieste. Erik schluchzte leise.
Der Karren lag mit dem Kutschbock auf einem Felsen, mit der Kante der Ladefläche hatte er den Boden aufgewühlt wie ein Pflug. Ich befahl Konrad, ganz nach hinten zu kriechen, wo der Spalt zwischen Holz und Gras am schmalsten war. Dort war es am sichersten. Er legte sich im aufgewühlten Dreck auf die Seite und zog die Knie bis unter das Kinn. Seine Hände zitterten.
»Wird er sterben?«, fragte er.
Eriks Schluchzen verstummte. Seine Augen weiteten sich. Er sah mich an. »Ich will nicht sterben.«
»Ich weiß.« Das war alles, was ich sagte. Ich wollte ihn nicht anlügen. Vorsichtig riss ich seine Hose auf. Der Pfeil hatte sein Bein durchschlagen und war knapp über dem Knie ausgetreten. Die Eisenspitze war voller Blut und Dreck. Heinrich hatte mir einmal erzählt, dass Bogenschützen ihre Pfeile in Kot tauchten, um das Blut ihrer Gegner zu vergiften. Ich hoffte, dass diese Schützen es nicht getan hatten.
Mit einer schnellen Bewegung brach ich das hintere Ende des Pfeiles ab. Erik schrie. Ich biss die Zähne zusammen, versuchte ihn nicht zu beachten und zog den Pfeil mit einem Ruck an der Spitze aus der Wunde.
Erik schrie und weinte, Konrad schien in sich selbst verschwinden zu wollen, so klein hatte er sich zusammengerollt. Blut tropfte auf meine Hand, aber es war kaum mehr als zuvor. Vielleicht wollte Gott Erik doch noch nicht an seiner Seite haben.
Eriks Schreie wurden zu einem Wimmern. Ich spuckte in die Wunde, so wie meine Mutter es mir beigebracht hatte,
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