Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
leben sie hier, wenn es im Tal so viel schöner ist?«
»Wegen der Reisenden.« Gottfried schloss sich uns an, als wir das Dorf betraten. »Sie bieten sich ihnen als Führer über die Pässe an und verkaufen ihnen Waren und Schlafplätze im Gasthaus. Man muss aber aufpassen, haben die Mönche gesagt. Manche sind Heiden, die aufrechte Christen in Schluchten werfen, um sie ihren Göttern zu opfern.«
Wir bekreuzigten uns rasch. »Kann man die Heiden von den Christen unterscheiden?«, fragte Lena, während sie durch eine offene Tür in eine Hütte blickte.
»Heiden sind verschlagen und heimtückisch, so wie …« Gottfried sprach nicht weiter, deutete nur mit dem Kinn zum Gasthaus, vor dem Diego gerade vom Pferd stieg.
Red keinen Unsinn, dachte ich, biss aber nur die Zähne zusammen. Lena sah zuerst Gottfried, dann mich an. »So wie wer?«, fragte sie. »Was meinst …«
Trommelschläge unterbrachen sie. Von überall schienen sie zu ertönen. Wir fuhren herum, versuchten im Widerhall der Felsen zu erkennen, woher sie kamen. Nein, erkannte ich im nächsten Moment, keine Trommelschläge, Pferdehufe. Reiter.
Diego schwang sich auf sein Pferd. Lukas ergriff Nicolaus’ Arm und zog ihn zurück, während die Brüder wie aufgescheucht auf die Straße liefen. Hugo schrie ihnen Befehle zu, aber sie schienen nicht zu verstehen, was er von ihnen wollte.
Ich sah mich um. Konrad und Erik waren hinter den Hütten verschwunden, suchten wahrscheinlich nach dem Kalb. Ich hoffte, dass sie sich dort versteckten.
Der Hufschlag wurde lauter. Ich konnte immer noch nicht erkennen, aus welcher Richtung er kam, doch dann sah ich, wie Diego zurückwich. Einen Atemzug später trabten Reiter um die Biegung hinter dem Gasthaus. Sie waren zu fünft. Schwerter hingen an ihren Gürteln, sie trugen Lederkappen und Waffenröcke, auf denen ein Wappen abgebildet war, das ich nicht kannte. Als sie uns sahen, zügelten sie ihre Pferde.
»Ottos Soldaten«, sagte Gottfried leise. Er hatte die Augen zusammengekniffen und musterte die Männer.
Ich sah zu Hugo. Er stand vor einer der Hütten, umgeben von anderen Brüdern. Sie schienen nicht zu wissen, was sie tun sollten, und sahen ratlos zu uns herüber.
Bleib zurück, dachte ich. Bitte, Gott, lass ihn keine Dummheiten machen.
Nicolaus schüttelte Lukas’ Hand ab und ging auf die Soldaten zu. Diego beobachtete ihn. Seine freie Hand war unter dem Umhang verborgen.
»Seid gegrüßt, meine Freunde«, rief Nicolaus. »Wir sind Kreuzfahrer auf dem Weg ins Heilige Land und erbitten freies Geleit.«
Die Reiter antworteten nicht. Einer von ihnen richtete sich im Sattel auf, als wollte er auf diese Weise die Menschenmenge aus Kindern, Jugendlichen und Greisen besser überblicken. Sein Gesicht war wie versteinert. Ich fragte mich, was er in uns sah.
Nach einem Moment wendete er sein Pferd. Er schien der Anführer der kleinen Gruppe zu sein, denn die anderen folgten ihm. Sie traten ihren Pferden in die Flanken und verschwanden hinter der Biegung. Der Trommelschlag der Hufe verhallte. Einige Male erschien es fast so, als würden sie zurückkehren, doch irgendwann wurde es still.
Nicolaus drehte sich um. Er wirkte enttäuscht. »Weiter«, sagte er.
Lukas hob die Hand. »Wir sollten zuerst die Hütten nach Essbarem durchsuchen.«
»Du gibst hier keine Befehle.« Nicolaus’ Gesicht verzerrte sich, wurde zur Fratze. Die Hand, in der er den Stab hielt, begann zu zittern. »Und du hältst mich auch nicht zurück. Der Engel beschützt mich, nicht du!«
Es war, als habe er Lukas ins Gesicht geschlagen. Der Junge machte einen Schritt nach hinten, prallte gegen den Bruder, der dort stand. »Der Engel beschützt dich durch mich, das hast du selbst …«
Nicolaus ließ ihn nicht ausreden. »Wir ziehen weiter!« Seine Stimme wurde lauter, hallte von den Felsen wider, bis sie kaum noch zu verstehen war. »Kein Unheil wird uns zustoßen! Wir werden weder Hunger leiden noch Durst. Der Herr wird uns versorgen. Er wird das Brot auf unseren Karren mehren und Wasser in Wein verwandeln, so wie Jesus es am See Genezareth tat. Vertraut auf ihn, dann wird sich alles andere fügen!«
Seine Wut verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Seine Hand zitterte nicht mehr, sein Gesicht entspannte sich. Er blinzelte. »Amen.«
»Amen.« Tausendfach brach sich das Wort an den Felsen. Ich hörte Verunsicherung in den Stimmen, aber auch eine sture Entschlossenheit, so wie ich sie ebenfalls empfand. Keiner von uns hatte Nicolaus je
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