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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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waren Hunderte. Ein Stöhnen und Wimmern hing über dem Tal. Michael, der Barbierlehrling, eilte zwischen den Verletzten umher. Er schien nicht zu wissen, was er tun sollte.
    Konrad saß neben Erik. Ich hatte ihm gezeigt, wie man eine Wunde säubert und verbindet. Er war geschickter, als ich geglaubt hatte, und ich war mir sicher, dass er sich auch weiterhin um Erik kümmern würde. Die beiden waren auf der Reise zu Brüdern geworden, Konrad und Hugo zu Fremden.
    Ich kniff die Augen zusammen und versuchte Hugo in der einsetzenden Dunkelheit zu finden, und ich entdeckte ihn schließlich neben Lukas und Nicolaus. Er hielt Abstand zu ihnen wie ein Diener, der die Unterhaltung hoher Herren nicht stören will. Sie gingen zwischen Leichen hindurch, neben denen Kinder hockten. Lukas hatte befohlen, alles einzusammeln, was wertvoll oder nützlich erschien, nicht nur bei den Toten des Feindes, sondern auch bei unseren eigenen. Und es waren viele, bei Gott, so viele.
    »Tausend«, hatte Diego gesagt, als ich ihn danach fragte. »Vielleicht auch mehr.«
    Ihre Habseligkeiten füllten Säcke und Karren. Ab und zu fand ein Kind jemanden, der noch lebte, und rief Ältere herbei, die den Verletzten zu den anderen trugen. Die Stimmung war bedrückt. Der Sieg war freudlos.
    Menschen saßen allein oder in kleinen Gruppen im Gras und starrten ins Nichts. Kaum jemand unterhielt sich. Einzig Ott und die Soldaten hatten ein Feuer entzündet, saßen davor und aßen und tranken neben den Toten. Ihr Gelächter mischte sich in das Stöhnen der Verletzten.
    »Das ist das Ende des Kreuzzugs«, sagte Diego. Er saß hinter mir auf einem Stein und säuberte seine Klinge mit einem Lappen, mir den Rücken zugewandt.
    Ich versuchte nicht, ihn anzusehen. Es befand sich zwar niemand in unserer Nähe, aber auf dem Kreuzzug war man nie allein. Wer konnte schon sagen, wessen Augen uns gerade beobachteten.
    »Wir können die Verletzten nicht über den Pass bringen«, fuhr Diego fort. »Das würde niemand überleben. Zurücklassen können wir sie auch nicht; Ottos restliche Soldaten würden alle aus Rache abschlachten. Wir können sie nur auf die Dörfer und Klöster in der Umgebung verteilen und hoffen, dass man sie dort gut behandelt. Das wird Wochen dauern. Bis dahin hat Otto frische Truppen an den Pass gebracht. Ein zweites Mal werden sie nicht so leichtsinnig angreifen. Wir haben keine Wahl, wir müssen zurück.«
    »Dann kommen wir alle in die Hölle.« Ich schluckte. Der Gedanke, dass Konrad und Hugo bis in die Ewigkeit leiden mussten, war entsetzlich. »Wir haben ein Gelübde vor Gott abgelegt. Wenn wir es nicht erfüllen, werden wir keine Gnade vor ihm finden.«
    »Glaubst du, dass Gott so grausam ist?«
    Es gefiel mir nicht, wie leichtfertig seine Frage klang, so als nähme er sie nicht ernst. Trotzdem dachte ich darüber nach. Ich betrachtete das Tal vor mir, die vielen Menschen, tote und lebende, den Himmel mit seinen Sternen und die schroffen schwarzen Silhouetten der Berge.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. Es war die Wahrheit.
    »Wenn du das …«
    Der klagende Ruf eines Horns unterbrach ihn. Diego sprang auf. Das Pferd, das er neben sich an einem Strauch festgebunden hatte, wieherte. Mein Magen krampfte sich zusammen. Überall im Tal erhoben sich Menschen. Manche schrien und fluchten, die meisten sahen sich nur verwirrt um.
    Dann entdeckte ich Cornelius. Er grinste und hielt das Horn hoch, das er wohl im Gras gefunden hatte. Ein zweites Mal setzte er es an. Er schien nicht zu bemerken, was er auslöste.
    Ein Mann, es war Gottfried, hinkte heran, bevor Cornelius mehr als einen kurzen Ton hervorgebracht hatte, und schlug ihm das Horn aus dem Mund. Es fiel ins Gras. Cornelius wich zurück und hob die Hände, als wolle er sich ergeben. Gottfried schrie ihn an. Ich hörte seine Stimme, verstand die Worte aber nicht. Nach einem letzten lauten Wort wandte er sich ab und ließ Cornelius stehen.
    Immer das Falsche zum falschen Moment, dachte ich, während sich Cornelius ins Gras setzte, die Beine mit den Armen umschlang und den Kopf auf die Knie legte. Seine Schultern zuckten. Ich war mir sicher, dass er weinte.
    »Da ist Nicolaus«, sagte Diego hinter mir. Ich hörte, wie er seine Klinge wegsteckte. »Sieht so aus, als wolle er etwas sagen.«
    Er hatte recht. Nicolaus ging mit langen Schritten die Straße entlang. Mir fiel auf, dass er nicht mehr hinkte. Am Fuße des Hügels, neben dem ersten Verletzten in der langen Reihe, blieb er

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