Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
vergiften wollten, die wird er liegen lassen, also lass du sie auch liegen. Denn nicht der Feind hat sie niedergestreckt, sondern Gott selbst!‹« Nicolaus streckte die Arme in die Luft. »Gott selbst!«, schrie er.
Stille antwortete ihm. Die Menschen sahen sich an, schienen nicht zu verstehen, was er gerade gesagt hatte.
»Wer wollte den Kreuzzug vergiften?«, fragte Konrad leise.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte ich zurück.
Nicolaus zeigte mit seinem Schäferstab hinein in die Berge, als visiere er einen Feind über die Klinge eines Schwertes an, dann ging er ohne ein weiteres Wort los.
Lukas eilte ihm nach, doch die meisten blieben zögernd stehen. »Was soll das heißen?«, rief jemand. »Sind das alles Sünder?«
Nicolaus drehte sich nicht einmal um. Er ging so schnell, dass die Menschen Angst bekamen, ihn zu verlieren, und an seine Seite liefen. Ich sah, wie Diego sich Nicolaus in den Weg stellen wollte, aber Lukas drängte ihn zur Seite, schlug ihm ansatzlos in den Magen, und Diego sackte zusammen und blieb gekrümmt im Staub liegen. Nicolaus ging an ihm vorbei, als existiere er nicht.
»Ich bin kein Sünder«, sagte Erik. Sein Blick richtete sich auf mich, erzwang mein Mitleid. »Hilf mir.«
Ich traf meine Entscheidung, ohne nachzudenken. »Konrad, fass mit an.«
Gemeinsam hievten wir Erik hoch. Es musste weh tun, aber er presste die Lippen aufeinander und schwieg, so als befürchte er, wir würden unsere Meinung ändern, wenn er einen Schmerzenslaut vernehmen ließ.
Andere bemerkten, was wir taten. Einige von ihnen halfen ihren eigenen verletzten Verwandten oder Freunden auf, stützten oder trugen sie. Manche kamen nur ein paar Schritte weit, bevor das Gewicht oder die Schreie der Verwundeten sie zum Aufgeben zwangen. Ich versuchte sie nicht zu beachten. Wir konnten nur Erik helfen, niemandem sonst.
Und niemand half uns. Jungen und Männer weit kräftiger als Konrad gingen an uns vorbei. Sie hätten jeden der schreienden und weinenden Verletzten mitnehmen können, wenn sie es nur gewollt hatten. Aber sie taten es nicht. Die Starken ließen die Schwachen zurück.
Es fiel uns nicht schwer, Erik zu stützen. Er war klein für sein Alter und leicht. Einen Arm schlang er um Konrads Schultern, den anderen hatte er in meinen Ellenbogen gehakt. Wir kamen schneller voran als die meisten anderen, die Verletzte mitnahmen. Ich warf einen Blick zurück, die Straße entlang. Hunderte lagen immer noch dort. Wie Bettler streckten sie ihre Hände Vorbeigehenden entgegen, doch Mitleid fanden sie nur selten.
Als ich den Kopf wieder drehte, sah ich Diego, der sich den Staub von der Kleidung klopfte, dann stieg er auf sein Pferd und ritt uns entgegen.
Ich wollte von ihm wissen, ob er bei dem Schlag verletzt worden war, aber er wischte die Frage mit einer Geste beiseite, als wolle er nicht darüber sprechen.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte er. »Du kannst mein Pferd haben.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, die Wunde würde nur wieder aufreißen. Aber …« Ich fuhr mir mit der freien Hand durch die Haare. »Wenn du wirklich helfen willst, dann reite zurück. Finde jemanden, der sich unserer Verletzten annimmt.«
Diego antwortete nicht. Er dachte darüber nach, wie er mir die Bitte abschlagen konnte, das sah ich in seinem Blick und in den Falten, die sich um seine Mundwinkel bildeten.
»Es … Ich schäme mich so für uns.« Meine Kehle wurde eng. Das waren nicht die Worte, die ich hatte sagen wollen, aber die, die ich sagen musste. »Als alles anfing, waren wir gleich. Eine Familie, besser als eine Familie. Jeder hat dem anderen geholfen, keiner hatte weniger, als er brauchte. Oder mehr. Wir waren gleich. Aber jetzt?« Ich zeigte auf einen der sogenannten Brüder, als er an uns vorbeiging. Einige Kinder folgten ihm. Sie zogen einen Karren, der viel zu schwer für sie war. »Jetzt ist es so wie überall.«
Diego sah die Straße hinunter, betrachtete die Verletzten. Ein Mädchen mit bandagierten Beinen kroch langsam an der Reihe entlang. Er senkte den Blick. »Ich weiß. Aber gerade deshalb möchte ich dich … euch hier nicht allein lassen.«
»Zu Pferd wirst du uns schnell wieder einholen.« Ich verstand nicht, weshalb er sich so sträubte. »Außer dir kann ich niemanden darum bitten.«
Die Falten um Diegos Mundwinkel glätteten sich. »Dann kommt mit mir«, sagte er leise. »Wir können in einer Woche in Luzern sein.«
»Und dann? Wie sollen wir den Kreuzzug wieder einholen?«
Diego schwieg.
Und ich
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