Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
verstand.
»Nein«, sagte ich. »Hugo würde nicht mitkommen, und …«
Konrad unterbrach mich. »Und wir würden in die Hölle kommen. Wir sind Kreuzritter.«
»Ihr seid keine Kreuzritter, ihr seid …«, begann Diego ver ärgert, sprach den Satz aber nicht zu Ende.
»Was sind wir?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und richtete sich im Sattel auf. »Ich werde ein paar Tage brauchen. Markiert den Weg mit Stofffetzen, damit ich euch finde.«
Eine merkwürdige Unsicherheit schlich sich in seinen Blick. Ich hielt die Zügel des Pferdes fest, als er sich abwenden wollte.
»Du kommst doch wieder zurück, oder?«
Diego sah mich nicht an. »So Gott will.«
Ich senkte die Hand. Er trat seinem Pferd leicht in die Flanken und ließ es die Straße hinuntertraben. Den Verletzten rief er zu, er würde Hilfe holen. Sie schienen ihm nicht zu glauben.
Ich sah Diego nach, bis die Dunkelheit der Schlucht ihn verschluckte. Dann wandte ich mich dem Hügel zu und der Straße, die uns tiefer in die Alpen hineinführen würde.
»Kommt er wirklich wieder?«, fragte Konrad nach einem Moment.
Ich hob die Schultern. »So Gott will.«
In meinem Magen kribbelte es.
Kapitel 18
Ich wartete vier, fünf, sechs Tage lang. Am siebten drehte ich mich nicht länger um.
Nicolaus fragte einige Male nach ihm, Lukas wirkte erleichtert. »Der Jude hätte nur Unglück über uns gebracht«, sagte er eines Morgens. »Sei froh, dass er weg ist.«
Ein kleiner Teil von mir war tatsächlich froh darüber, weil nun auch die Gerüchte verstummten, doch der andere, weit größere vermisste ihn. Ich sah oft zu den Feuern der Soldaten hinüber und stellte mir vor, er säße dort. Manchmal glaubte ich sogar, seine Stimme zu hören.
Es war albern. Ich wusste fast nichts über ihn, unsere Gespräche konnte ich an zwei Händen abzählen, und bei unserer einzigen Begegnung waren wir so betrunken gewesen, dass ich mich kaum noch daran erinnern konnte. Und trotzdem vermisste ich ihn, in manchen Nächten sogar mehr als Heinrich. Ich bat Gott dafür um Vergebung, doch das änderte nichts.
Die Straße wurde steiler und kurvenreicher, je weiter wir in die Berge vorstießen. Manchmal mussten wir die Karren schieben, weil die Ochsen allein sie nicht hinaufziehen konnten, manchmal ging es so steil nach unten, dass wir uns mit aller Kraft gegen das Holz stemmen mussten. Ein Junge wurde dabei von einem Wagenrad zerquetscht. Wir begruben ihn unter Steinen.
Alles war grau, die Straße, das Geröll zu beiden Seiten und die steilen Felswände. Sogar der Himmel hatte sein strahlendes Blau verloren.
Es wurde kühler. Nachts schliefen die meisten von uns unter zwei Umhängen. Morgens knirschte gefrorener Tau unter unseren Füßen. Ab und zu zweigten kleinere Wege von der Straße ab. Ich nahm an, dass sie zu Pilgerstationen führten, aber aus Angst vor einem Überfall der Soldaten folgten wir ihnen nicht. Es gab zwar keinen Hinweis darauf, dass sie uns folgten, aber Lukas schürte die Angst vor ihnen mit immer neuen Behauptungen. Nicolaus ließ ihn gewähren. Der Ärger, den er vor einigen Tagen gegenüber seinem treuesten Jünger, wie Lukas sich mittlerweile nannte, geäußert hatte, schien verflogen zu sein.
»So wenig?«, fragte Lena am Morgen des achten Tags, als Hermann einen Korb mit Brot ans Feuer brachte. Ein paar alte harte Kanten lagen darin.
Else, eines der Mädchen, die unserem Feuer zugeteilt waren, schüttelte den Kopf. »Das ist halb so viel wie gestern. Höchstens.«
Ich knotete den frischen Verband um Eriks Bein fest. Die Wunde heilte nur langsam, und er hatte immer noch leichtes Fieber und Durchfall. Aber die Farbe war schon in sein Gesicht zurückgekehrt. Es sah nicht so aus, als wolle Gott ihn sterben lassen.
Hermann stellte den Korb ab. »Ich kann nichts dafür«, sagte er. »Keiner kriegt mehr.«
Seine Stimme zitterte. Ich nahm es ebenso wahr wie Lena. Sie erhob sich und sagte: »Du lügst doch. Wer kriegt mehr als wir?«
»Niemand.« Hermann wagte es nicht, sie anzusehen.
»Wer?« Lena war größer als er. Mit geballten Fäusten stand sie vor ihm und blickte auf den Jungen hinab. Eine Haarsträhne fiel ihr über die Augen. Sie pustete sie wütend weg. »Wer?!«
Hermann wich zurück. »Es ist doch nur gerecht«, schrie er sie mit kippender Stimme an. »Wir Brüder müssen kämpfen, wenn die Soldaten wiederkommen. Wenn wir nicht essen, sind wir nicht stark genug dafür.«
»Kämpfen? Du? Dir schlägt doch der Wind das Schwert aus der
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