Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Hand.« Lena verschränkte die Arme vor der Brust. »Also, wo ist es?«
»Was?«
»Das, was du extra bekommen hast.«
»Ich …« Hermann schien vor Angst kaum weitersprechen zu können. »Ich habe es hinter dem Karren gegessen, damit ihr das nicht seht.«
»Dann hast du gewusst, dass es falsch ist, du kleine Ratte.« Lena holte mit der Hand aus.
»Lena.« Ich stand auf. Sie drehte den Kopf, die Hand immer noch erhoben. Hermann stolperte einige Schritte zurück und verschwand zwischen den Karren.
»Das bringt doch nichts«, sagte ich. »Er tut nur, was Lukas ihm befiehlt.«
Lena ließ die Hand sinken. In ihren Augen blitzte es. Ihr Ärger suchte ein Ziel. »Und dein Sohn. Hugo ist genauso schlimm.«
»Das stimmt nicht.« Ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass die Anschuldigung mich getroffen hatte. »Er ist ein guter Junge, der seinem Glauben folgt.«
»Seinem Magen wohl eher.«
Ich schüttelte den Kopf und setzte mich. »Ich werde mich nicht mit dir streiten. Konrad, nimm unseren Anteil.«
Else und Demuth, das andere Mädchen, griffen rasch in den Korb, sicherten sich die größten Stücke, bevor Konrad seine Wahl treffen konnte. Lena blieb abwartend stehen. Sie konnte aufbrausend sein, aber sie kümmerte sich um andere. Und sie wusste, dass wir unseren Anteil mit Erik teilen mussten. Lukas hatte den Brüdern verboten, Essen an die Verletzten auszugeben. Gott, so hatte er gesagt, wollte sie nicht im Kreuzzug haben, also würde der Kreuzzug sie auch nicht versorgen.
Konrad hatte zwei faustgroße Brotkanten ergattert. Wir kratzten den Schimmel mit dem Messer ab, dann teilten wir sie sorgfältig zwischen uns auf.
Lena nahm das letzte Stück Brot. Unsere Blicke trafen sich. Sie lächelte knapp. Es war ihre Art der Entschuldigung. Ich nickte, obwohl ihre Worte immer noch schmerzten. Freundlichkeit war das erste Opfer des Hungers. So war es immer. Menschlichkeit war das zweite, doch daran wollte ich noch nicht denken.
Das Brot war hart und grau, durchsetzt von grünen Stellen, so wie die Felsen, die uns umgaben. Ich weichte es in einem Krug mit Wasser auf. Es schmeckte widerlich, doch wenigstens füllte es den Magen.
Konrad kaute ein wenig auf seinem Brot herum, dann steckte er es Erik zu. Er dachte wohl, ich sähe es nicht.
Ich schwieg. Er würde es auch weiterhin tun, egal, was ich sagte. So gut kannte ich ihn mittlerweile wieder.
Kapitel 19
Wir verbrachten den Tag auf der Straße. Die ewig gleichen Geräusche des Kreuzzugs – das Rascheln, Klirren, Schnaufen und Murmeln – lullten mich ein. Gegen Mittag zogen einige Jungen los, um Bergziegen zu jagen, die sie in den Felsen entdeckt hatten. Am Abend kehrten sie enttäuscht und ohne Beute zurück. Ich hockte hinter Nicolaus am Boden und schichtete Feuerholz auf, als sie ihm ihr Scheitern gestanden.
»Sorgt ihr euch etwa deswegen?«, fragte Nicolaus. Ich hörte das Lächeln in seiner Stimme.
Der älteste der Jungen, sein Name war Andreas, nickte. »Ja, das tun wir. Die Vorräte gehen zur Neige. Wenn das so weitergeht, müssen wir das Salz von den Felsen lutschen.«
Das hätte von Gottfried stammen können. In den letzten Tagen redete er nur noch über Essen.
Nicolaus lachte. »Wenn es so weitergeht«, wiederholte er, »wird Gott die Felsen in Wachteln verwandeln, und wir werden das Salz von ihren gebratenen Flügeln lutschen.«
Ich wandte den Kopf. Er sprach laut, und ich bemerkte, dass ein paar der Kinder und Jugendlichen seinen Worten lauschten.
Nicolaus legte Andreas die Hand auf die Schulter. »Niemand muss sich Sorgen machen. Gottes Blick ruht auf unserem Kreuzzug. Es hat ihm gefallen, uns von unseren Familien zu trennen, von unseren Dörfern, doch geschadet hat es uns nicht. Und nun nimmt er uns das Essen.« Nicolaus drehte sich langsam um und sprach zu allen, die nahe genug standen, um ihn hören zu können. »Warum? Weil er uns erlösen will von den Zwängen der Menschen. Dazu hat er uns auf diesen Weg geführt. Wenn wir ihn zu Ende gehen, mutig und mit reinem Herzen, werden wir sein wie Heilige. Wir werden uns von allem Sterblichen befreien, bis nur noch Gott übrig ist.«
»Hat das der Engel gesagt?«, rief jemand.
Nicolaus zögerte einen Lidschlag lang. »Ja«, sagte er dann, »so ist es.«
»Gott wird uns Essen geben?« Die Frage kam von Gottfried. Er stützte sich auf einen Wanderstab. Der lange Weg hinterließ Spuren.
»Wenn es nötig ist. Doch den Frommsten unter uns wird er den Hunger nehmen, so wie er es bei mir getan
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