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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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beten.
    Das Holz war zu feucht für ein Feuer, also saßen wir im Dunkeln und redeten, um die Kälte zu vergessen. Kein Bruder kam vorbei, um uns etwas zu essen zu bringen, aber wir wagten es auch nicht, um etwas zu bitten. Die Neuigkeit, dass wir mit Nicolaus nicht mehr reden durften, hatte sich bereits herumgesprochen. Es hieß, die Sünder, angestiftet vom Teufel selbst, hätten Nicolaus all ihre Sorgen und Wünsche aufgelastet, bis er selbst begonnen hätte, an den Worten des Engels zu zweifeln. Mit der Schlammwelle hatte Gott die Sünder bestraft und Nicolaus zurück auf den rechten Weg geführt.
    »Wir hätten das von Anfang an so machen sollen.« Gottfried zog seinen Umhang enger um seinen mageren Körper. »Es kann doch auch nicht jeder Tagelöhner zum König laufen, wenn ihm etwas nicht passt. Und Nicolaus ist eine Art König, oder?«
    Ich dachte an das, was Cornelius gesagt hatte. »Er nennt uns seine Jünger.«
    »Jünger?« Ott lachte. Es war das erste Mal seit der Lawine, dass ich jemanden lachen hörte. »Hätte nie gedacht, dass mich mal jemand so nennen würde.«
    Ich lehnte mich an einen der Felsen, sah in den schwarzen, wolkenverhangenen Himmel und fragte mich, wie Nicolaus sich wohl selbst nannte, wenn er allein war. Irgendwann schloss ich die Augen.
    Als ich sie wieder öffnete, schneite es.
    Es waren nur kleine Flocken, die vom Wind wie Staub über das Plateau geweht wurden und schmolzen. Nichts blieb liegen, trotzdem versetzte der Anblick des Schnees uns allen einen Schock. Niemand hatte geglaubt, dass es mitten im Sommer in den Bergen schneien würde. Dabei befanden wir uns längst noch nicht auf den Gipfeln der Alpen. Felsen ragten unmöglich hoch empor, und der Weg, den Rüdiger mit seinen Soldaten noch am Abend ausgekundschaftet hatte, führte steil nach oben.
    »Wie weit es wohl noch ist?«, fragte Lena, während wir den getrockneten Schlamm aus unseren Umhängen schlugen.
    »Weit«, sagte ich. »Viel weiter, als wir glauben.«
    Sie warf mir einen merkwürdigen Blick zu, schien die Stimmung zu spüren, in der ich mich befand. Vielleicht lag es an Eriks Tod, vielleicht auch nur am Hunger, aber an diesem Morgen glaubte ich nicht, dass wir unser Ziel jemals erreichen würden.
    Trotzdem schloss ich mich den anderen an, fiel in ihren Gesang ein und folgte dem Schäferstab. Nichts anderes konnte ich tun.
    Den ganzen Tag über, während wir den steilen Weg hinaufstiegen, sah ich Brüder am Wegesrand stehen. Erst nach einer Weile begriff ich, dass sie uns durchzählten. Sie wollten wissen, wie viele nach der Schlacht und der Lawine übrig waren. Ich schätzte, dass wir ungefähr die Hälfte verloren hatten.
    Nicht alle waren gestorben. Viele, wenn nicht sogar die meisten, hatten wir zurückgelassen. Manche mochten sogar geflohen sein, weil ihnen ihr Leben lieber war als ihr Seelenheil. Sie brachen den Eid, den sie vor Gott geleistet hatten, und darum wartete die ewige Verdammnis auf sie. Sie taten mir leid.
    Je höher wir stiegen, desto schwerer fiel mir das Atmen. Es war ein seltsames Gefühl, beinahe so, als bekäme ich nicht genügend Luft in die Lungen, egal, wie tief ich auch einatmete. Einige bekamen Kopfschmerzen. Ein kleiner Junge weigerte sich weiterzugehen und wurde schließlich von zwei älteren getragen.
    »Das solltet ihr lassen«, hörte ich einen Bruder sagen. »Seine Sünde macht ihn schwach. Stellt euch nicht zwischen ihn und die Strafe, die Gott für ihn auserwählt hat.«
    Die beiden Jungen zögerten, doch dann trugen sie den kleineren zu meiner Erleichterung weiter.
    »Hoffentlich bringen sie damit nicht eine zweite Lawine über uns«, flüsterte Lena neben mir. Die Sonne, die ab und zu zwischen den Wolken hervorkam, hatte ihr Gesicht gerötet.
    »Glaubst du wirklich, dass Gott so grausam ist?«, fragte ich.
    »Wenn der Kreuzzug rein sein muss, bleibt ihm vielleicht keine Wahl. Schließlich geht es um das Grab seines Sohnes.« Sie bekreuzigte sich.
    »Der Junge ist keine sechs Jahre alt. Welche Sünde könnte er schon begangen haben?«
    Lena hob die Schultern. »Was weiß ich.« Sie stützte sich an einem Felsen ab und sah mich an. Menschen schoben sich langsam an uns vorbei. »Du denkst zu viel nach«, sagte sie leise. »Tue das nicht. Du machst es nur schlimmer.«
    »Was mache ich schlimmer?«
    »Alles. Nicolaus befolgt die Befehle des Engels, und der erhält seine von Gott. Wenn du an Nicolaus zweifelst, dann zweifelst du an Gott. Willst du das wirklich?«
    »Nein.« Ich

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