Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
konnte, hat sich was genommen.«
    Die Lüge kam so flüssig über meine Lippen, als hätte ich sie mir schon lange vorher zurechtgelegt.
    »Wir teilen es gern mit dir«, fügte Erik hinzu, aber Else schüttelte den Kopf.
    »Nein, das ist ungerecht. Ihr hättet es nicht nehmen dürfen.« Mit jedem Satz sprach sie lauter. »Es gehört uns allen. Ihr stehlt von uns.«
    Eine Gruppe Heranwachsender wurde auf sie aufmerksam und blieb stehen. »Was wurde gestohlen?«, fragte ein sommersprossiges Mädchen.
    »Nichts.« Ich wollte Else beiseitenehmen, doch sie wich meinem Griff aus und suchte Schutz bei der Gruppe. Anklagend zeigte sie auf Erik und mich. »Die beiden haben …«
    Der Rest ihrer Worte ging in einem Krachen unter. Es schien von überall her zu kommen, hallte durch die Schlucht und brach sich an den Felswänden. Ein dumpfes Grollen folgte. Es klang wie der Donner eines herannahenden Gewitters, ließ jedoch nicht nach, sondern wurde lauter, immer lauter, bis …
    Schreie erklangen, und der Schlamm kam.
    Eine riesige Woge aus Dreck, Steinen, Wasser und Menschen stürzte den Pfad hinab. Sie schwappte an den Felsen empor, riss Bäume mitsamt Wurzeln aus, zertrümmerte Stämme und Knochen.
    Menschen verschwanden einfach in ihr, als würden sie von einem gewaltigen, rasenden Ungeheuer verschluckt. Steine, groß wie Köpfe, wurden von der Welle emporgeschleudert und schossen uns entgegen. Manche zerplatzten an den Felswänden. Es regnete Splitter, Schlamm und Blut.
    Ich sah Menschen, die den steilen Pfad hinabrannten. Andere stolperten, überschlugen sich, stürzten uns entgegen. Die Woge war schneller als sie alle, hämmerte sie nieder, bis sie zu einem Teil des Schlamms wurden.
    Die Todesangst der Schreienden sprang wie eine Flamme auf uns über. Das sommersprossige Mädchen reagierte als Erste. Es warf sich herum, weg von der Abzweigung und der Woge, die sich aus ihr ergoss. Der Rest der Gruppe lief ebenfalls los, hinein in die Nachfolgenden, die noch nicht begriffen hatten, in welcher Gefahr wir uns befanden. Die Gruppe stieß sie beiseite. Lang gezogene Schreie hallten durch die Schlucht, als Menschen in die Tiefe stürzten.
    »Erik!«, schrie ich, als er ihnen folgen wollte. Ich griff nach seiner Hand. Unsere Finger berührten sich. Else sah zu mir, dann zu den anderen. Ich streckte die andere Hand aus, aber sie wandte sich bereits ab.
    Ein Stein traf sie am Kopf. Er verschwand in einer Wolke aus Blut und Knochen.
    Ich zog Erik auf den Spalt zu. Er stolperte und schrie, als er auf sein verletztes Bein fiel. Sein Sturz riss mich zurück.
    Schmerz zuckte durch meine Schulter. Mein Griff lockerte sich. Ich spürte, wie sich Eriks Finger in mein Handgelenk krallten und die Haut aufrissen. Mit aller Kraft zog ich ihn auf den Spalt zu. Nur noch ein Schritt.
    Ein Schlag traf meinen Rücken. Ich wurde nach vorn geschleudert, durch die Sträucher in den Spalt hinein. Schlamm quoll durch die Öffnung und klatschte gegen die Wände. Es wurde plötzlich dunkel.
    Ich spürte Eriks Finger. Sie glitten von meinem Handgelenk ab, aber ich griff nach, packte seine Hand mit meiner und hielt sie fest. Ich hörte Schreie und begriff erst, als ich keuchend Luft holte und sie abbrachen, dass ich sie ausgestoßen hatte.
    Der Schlamm presste mich gegen den Fels. Immer neue Schläge trafen mich. Äste zerbrachen in der Öffnung, Steine polterten in den Spalt. Mein Rücken brannte, Blut lief mir in die Augen. Der Schlamm stand mir bis zur Brust, stieg immer höher. Mit der freien Hand krallte ich mich in den Fels.
    Meine Beine knickten immer wieder ein, das Gewicht, das an meinem Arm hing, war unendlich schwer. Ich schrie und zog, spuckte Schlamm und Blut, keuchte und kämpfte. Doch irgendwann – schließlich, endlich – stand ich.
    Mit beiden Händen zog ich Erik heran. Er hing in meinen Armen. Schlamm tropfte aus seinen Haaren zu Boden. Sein Kopf rollte auf seinen Schultern hin und her, so als würde ihn nur noch die Haut dort halten. Ich stützte ihn in meiner Armbeuge, wischte mit dem Ärmel Blut und Dreck aus seinem Gesicht.
    Seine Augen waren geöffnet. Schlamm quoll ihm aus Mund und Nase. Vollkommen reglos lag er in meinen Armen.
    Draußen wurde es still.
    Erik war tot.

Kapitel 21
    Wir begruben Erik unter Schlamm und Steinen in dem Spalt, in dem er gestorben war. Konrad weinte lautlos. Er war bei der ersten Gruppe gewesen, zusammen mit Nicolaus, Hugo, Lukas und den meisten anderen Brüdern. Sie hatten die Schlammlawine erst

Weitere Kostenlose Bücher