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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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nach Nicolaus um, die meisten gingen jedoch einfach los, dem Berg entgegen.
    Wir brauchten zwei Tage, um die Ebene zu überqueren. Eine alte Frau brach sich den Fuß; wir ließen sie mit etwas Wasser und einem hölzernen Kreuz zurück. Den dritten Tag verbrachten wir am Fuß des Berges mit der Suche nach einem Pfad. Als wir ihn fanden, beteten wir gemeinsam mit Nicolaus. Er stotterte nicht, aber sein linkes Auge schielte. Am nächsten Morgen wirkte es wieder normal.
    Ich war nicht die Einzige, die diese Veränderungen bemerkte. Zwei Jungen sprachen und lachten darüber, ohne den Bruder in ihrer Nähe zu bemerken. Lukas ließ sie an Händen und Füßen zusammenbinden. Niemand drehte sich nach ihnen um, als wir am Morgen des vierten Tages den Aufstieg begannen.
    Die Sonne brannte so sehr auf unserer Haut, dass wir uns Tücher um den Kopf wickelten. Wir stiegen den Berghang empor, folgten einem Pfad, der sich an Felsen vorbeiwand und manchmal zurück zu sich selbst zu führen schien. Ab und zu entdeckten wir in Stein gemeißelte Symbole. Sie bestanden aus Linien und Kreisen, lang gezogenen Strichen und schrägen Kreuzen. Sie wirkten unheimlich und fremd.
    Einige Kinder begannen zu weinen, wenn sie die Zeichen sahen. Gottfried schlug vor, sie zu zerstören, da sie von Heiden stammen mussten. Lukas stimmte zu und befahl den Brüdern, sie mit ihren Schwertern zu zerkratzen.
    Fast alle waren froh darüber und genossen die kurzen Pausen, nur Nicolaus ging jedes Mal ungeduldig auf und ab. Ihm schien der Aufstieg als Einzigem nichts auszumachen.
    Am Morgen des fünften Tages brach er das letzte Brot mit uns.
    Am Abend des sechsten Tages kam der Sturm.

Kapitel 22
    »Mir ist so kalt.« Lenas Lippen zitterten, ihre Zähne schlugen aufeinander, und ich sah ihren Atem als graue Wolke aus ihrem Mund aufsteigen.
    Vor dem Felsvorsprung, unter den wir uns geflüchtet hatten, schlugen Hagelkörner groß wie Radieschen auf und zerplatzten, und bei jedem schweren Windstoß mussten wir bis an die Felswand zurückweichen, um nicht getroffen zu werden. Ihr Prasseln war ein Trommelwirbel, das Heulen des Sturms ein nicht enden wollender Trompetenstoß. Mit aller Macht warf er sich gegen die Felsen, hinter die wir uns geflüchtet hatten wie Bauern vor angreifenden Truppen in eine Stadt.
    Wir wurden belagert, Gott allein wusste, wie lange schon.
    Es hatte am Abend zuvor angefangen, zuerst als starker Wind, der Wolken vor sich hertrieb und an unserer Kleidung zerrte. Wir hatten kaum Zeit gehabt, Schutz zu suchen, bevor er zum Sturm wurde, uns mit Hagel, Regen und Schnee attackierte. Die ganze Nacht hatte er getobt. Mittlerweile musste es längst Tag sein, vielleicht sogar schon Abend, doch in der grauen Welt, die er um uns herum erschaffen hatte, war das nicht zu erkennen.
    »Komm her.« Ich rückte näher an Lena heran und rieb ihr mit den Händen die Arme. Nasse Haare hingen ihr ins Gesicht. Ihre Kleidung war schwer und feucht, so wie meine.
    Lena schloss die Augen. »Was haben wir nur getan«, sagte sie. »Womit haben wir das verdient.« Es waren keine Fragen. Sie hatte die Worte schon so oft gesagt, dass sie keine Antwort mehr erwartete.
    Ich rieb ihre Arme, bis meine zu schmerzen begannen, dann hörte ich auf. Ihren Rücken berührte ich nicht. Sie war dort empfindlich, seit sie geschlagen worden war.
    Ich steckte die Hände unter meine Achseln. »Es hört bestimmt bald auf. So schnell der Sturm gekommen ist, so schnell wird er sich auch wieder legen.«
    Ein Blitz riss unsere graue Welt auf. Einen Lidschlag lang sah ich Gesichter und hochgezogene Schultern unter anderen Vorsprüngen. Dann dröhnte Donner in meinem Kopf und meinem Magen.
    Lena schrie erschrocken auf, dann wandte sie mir das Gesicht zu. »Meinst du?«
    Ich musste lachen. »Vielleicht später.«
    Eine Weile starrten wir in den Regen. Ich ertappte mich dabei, dass meine Gedanken immer wieder zu Diego zurückkehrten. Ich fragte mich, wo er war, was er gerade tat, ob er an einem warmen Feuer saß, irgendwo in einer Stadt und etwas aß, einen Eintopf vielleicht oder …
    Ich zuckte zusammen, als ein Schatten plötzlich auf mich zustürzte. Wasser spritzte mir entgegen, Stiefel glitten auf dem Felsen aus, dann prallte jemand gegen mich.
    »Au!« Es war Cornelius. Die Hoffnung, die ich einen Moment lang verspürt hatte, verflüchtigte sich sofort.
    Cornelius setzte sich auf. »Nicolaus schickt mich. Er will, dass wir weitergehen.«
    »Bei diesem Wetter?« Lena sah ihn an, als habe

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