Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
sich das Wasser vor mir aus. Fischerboote glitten am Horizont entlang, größere Handelsschiffe lagen an der Kaimauer. Wind spielte mit ein paar Haarsträhnen, die sich unter meinem Schal hervorgeschlichen hatten. Die Luft schmeckte nach Salz.
»Meerwasser ist salzig«, erklärte mir Diego, als ich ihn darauf ansprach. »Man kann es nicht trinken.«
Mühsam riss ich mich von dem Anblick des Meers los. Wasser, das man nicht trinken konnte – in was für einer seltsamen Welt wir leben.
Wir fanden einen Mietstall und gaben die Pferde dort ab. Mit den Satteltaschen über den Schultern gingen wir am Hafen entlang. Ich sah mich suchend um, sah aber keine Spur des Kreuzzugs.
Schließlich fanden wir ein Gasthaus. Alte Männer saßen vor seiner Tür an langen Holztischen, tranken Wein und spielten ein kompliziert aussehendes Spiel mit Holzfiguren und Würfeln. Wir gingen auf sie zu und grüßten. Sie antworteten freundlich, das Mal auf Diegos Wange schien sie nicht zu stören. In einer Hafen stadt wie dieser war man Fremdes und Merkwürdiges wohl gewohnt.
»Ich werde ihnen erklären, weshalb wir hier sind«, sagte Diego zu mir. »Vielleicht haben sie etwas vom Kreuzzug gehört.«
Er redete mit den Männern, aber einer unterbrach ihn nach wenigen Sätzen, erklärte etwas mit ausholenden Gesten. Diegos Gesicht spannte sich an.
»Was ist los?«, fragte ich, als der Mann geendet hatte.
»Wir haben ihn verpasst. Der Kreuzzug ist vor ein paar Tagen hier angekommen.«
Seine Worte trafen mich wie ein Schlag. »Das kann nicht sein. Der König sagte, ich hätte genügend Zeit.«
Diego fragte den Mann etwas. Nach dessen Antwort sah er mich an und erklärte: »Er ist sich sicher. Es waren rund tausend Menschen, die meisten Kinder.«
»Tausend … Mein Gott.« Wie viele hatten wir nur verloren?
»Er sagt, die Stadtbewohner hätten solches Mitleid mit ihnen gehabt, dass sie ihnen Nahrung und Kleidung schenkten.« Diego zögerte. »Sie müssen schlimm ausgesehen haben.«
Tränen stiegen mir in die Augen. Die Männer sahen mich an. Sie wirkten neugierig. Einer fragte Diego etwas. Nach dessen Antwort legte einer von ihnen mir tröstend seine knochige Hand auf den Arm.
»Armes Kind«, sagte er auf Italienisch und dann noch etwas mit »Gott«, das ich nicht verstand.
»Frag ihn, ob sich das Meer geteilt hat.«
»Ich glaube nicht, dass …«
»Frag ihn.«
Diego übersetzte meine Worte.
Die alten Männer schüttelten den Kopf, nicht verneinend, sondern ungläubig, als wäre das die dümmste Frage, die sie je gehört hätten. Einer sagte etwas, zeigte dabei mal auf das Meer, dann wieder zur Tür des Gasthauses.
Diego nickte. »Er sagt, sie seien hierhergekommen und hätten sich singend an der Hafenmauer aufgestellt. Bei ihnen war ein Junge, der in einem Handkarren lag. Sie schoben ihn bis zur Mauer, setzten ihn auf und warteten.«
»Nicolaus«, sagte ich.
»Ja. Stundenlang haben sie wohl hier in der Hitze gestanden und gewartet, dass er für sie das Meer teilt. Aber es geschah nichts.« Er forderte den Mann mit einer Geste auf weiterzu erzählen. »Als es dunkel wurde, kam die Stadtwache, um sie zu vertreiben«, fuhr er mit seiner Übersetzung fort. »Ein großer blonder Junge – das muss Lukas gewesen sein – bat sie, ihnen noch etwas Zeit zu geben. Die Wachen ließen sich wohl aus Mitleid darauf ein. Allerdings – und jetzt wird es etwas wirr – gab es Streit, und zwar innerhalb des Kreuzzugs. Niemand hier spricht Deutsch, deshalb wissen sie nicht, worüber gestritten wurde, aber sie glauben, dass einige wenige die anderen zwangen zusammenzubleiben. Am nächsten Morgen tauchte jemand auf und führte Lukas ins Gasthaus. Als er herauskam, verkündete er etwas. Manche Kinder jubelten, aber die meisten schienen sich nicht über das zu freuen, was er sagte.«
Der alte Mann fuhr fort. Diego hörte zu.
»Die Bewaffneten des Kreuzzugs bewachten die Unbewaffneten und ließen nicht zu, dass jemand von ihnen den Hafen verließ. Gegen Mittag legten einige Schiffe an. Der Kreuzzug verteilte sich auf sie, dann fuhren sie hinaus aufs Meer.«
»Weiß er, wohin sie gefahren sind?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. Ein anderer sagte etwas und lachte kopfschüttelnd.
»Was ist denn daran so komisch?«, fragte ich.
Diego verzog das Gesicht. »Er weiß nicht, wohin die Schiffe unterwegs sind, aber sein Freund hier hat einen Händler an Bord gehen sehen, den er kennt, und er sagt, wie dumm müsse man sein, jemandem zu trauen, der
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