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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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blanke Holz und zuckte wie ich zusammen, wenn es in der Hütte plötzlich laut knackte. Auch Juden glauben wohl an Geister.
    Wir aßen schweigend, während das Feuer lange Schatten über die Holzwände warf. Draußen wieherte eines der Pferde, die wir unter einem Baum angebunden hatten. Es erschreckte mich so sehr, dass ich mich verschluckte und hustete. Diego klopfte mir auf den Rücken. Mir war nicht aufgefallen, dass wir so dicht nebeneinandersaßen.
    Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und legte das Brot beiseite. »Lies weiter, Diego.« Als er nicht reagierte, fügte ich hinzu: »Bitte.«
    Mit dem Fuß zog er seine Satteltasche heran und öffnete sie. »Ich dachte, du wolltest die Geschichte nicht hören.«
    »Doch.«
    Ich lauschte seinen Worten, als er zuerst stockend, dann immer flüssiger zu übersetzen begann.
    Der König kämpfte mit großer List gegen die Ungeheuer, die ihn bedrohten, aber bei all seiner Klugheit konnte er nicht verhindern, dass Männer, die sich ihm angeschlossen hatten, starben. Das machte mich traurig. Ich wünschte, er hätte alle retten können.
    Der Regen wurde heftiger, tropfte durch das morsche Dach ins Stroh. Ich spürte Diegos Wärme, hörte seine Stimme und legte mich hin. Der Dachbalken über mir wirkte im Schein des Feuers schwarz. Jedes Mal, wenn ein Windstoß unter der Tür hindurchwehte, flackerten die Flammen, und dann sah es aus, als würde er sich bewegen oder etwas an ihm. Ich kniff die Augen zusammen, versuchte an nichts anderes als die Geschichte zu denken, die Diego vorlas, doch das Bild des Balkens, die Vorstellung, dass ein Mann daran hing, glitten immer wieder darüber, so wie Wellen über ein Ufer. Die Angst ließ mich nicht schlafen. Selbst der König von Ithaca konnte daran nichts ändern.
    Ich setzte mich auf. Diego unterbrach sich. »Soll ich aufhören?«
    »Nein.«
    Er las weiter. Unsere Knie berührten sich. Ich tat nichts da gegen. Diegos Aussprache wurde schlechter, manche Worte vergaß er zu übersetzen, andere fielen ihm erst nach einem Moment ein.
    Ich legte meine Hand auf seine Hüfte und strich mit ihr über die Innenseite seines Oberschenkels. Diego zog den Atem ein. Er legte die Seite weg, ließ den König mit erhobenem Schwert am Strand eines Meeres stehen, dann wandte er sich mir zu und schob seine Hand unter mein Hemd. Seine Haut fühlte sich rau auf meinen Brüsten an. Er küsste mich auf den Hals, auf den Mund, auf die Wangen.
    Ich vergaß den Dachbalken.
    Es war eine wunderbare Zeit. Wir lernten uns kennen. Nicht die Religion, die wir hatten, nicht die Stände, aus denen wir kamen – uns.
    Tage und Nächte vergingen, ohne dass ich sie gezählt hatte. Manchmal vergaß ich beinahe sogar, weshalb wir uns auf dieser Reise befanden. Ich lauschte der Geschichte des Odysseus und erzählte von jenem Tag, an dem ich einen König kennengelernt hatte. Nur den Kirchenbann erwähnte ich nie. Ich wollte es, aber es ergab sich keine Gelegenheit. Vielleicht war es auch besser so.
    Wir liebten uns, scherzten und redeten.
    Als wir die Berge schließlich hinter uns ließen und ich über eine tiefblaue Bucht auf die Stadt im Sonnenschein blickte, wusste ich, dass es vorbei war. Nie wieder würden wir eine solche Zeit erleben, egal, wie lange wir lebten. Die Erkenntnis stimmte mich traurig.
    »Was ist los?«, fragte Diego, als er einen Blick in mein Gesicht warf. »Ich dachte, du würdest dich freuen, Genua zu sehen.«
    »Das tue ich.« Am liebsten wäre ich umgekehrt, zurück in die zwanglose Ungewissheit, in der alles möglich erschienen war.
    Er musterte mich einen Moment lang, dann ließ er sein Pferd lostraben, und ich folgte ihm den Weg hinunter und in die Stadt hinein.
    Sie war anders als die Städte, in denen ich zuvor gewesen war. Die Häuser waren hoch, die Gassen schmal, und ein Wirrwarr fremder Sprachen begrüßte mich, in dem ich ab und zu auch deutsche Worte aufschnappte. Tagelöhner boten lautstark ihre Dienste an, Karren rumpelten über befestigte Straßen. Ich sah Käfige mit seltsamen Tieren, Stände, die sich unter Fisch und Fleisch bogen, reiche Kaufleute, die sich mit den Farben von Königen schmückten. Mönche zogen an ihnen vorbei, barfuß und mit braunen Kutten, die nur von einem Strick zusammengehalten wurden. Sie erinnerten mich an die Brüder, denen wir auf der Straße begegnet waren. Über der ganzen Stadt lag der Geruch des Meers.
    Nie zuvor hatte ich ein Meer gesehen. Ich folgte Diego zum Hafen und verharrte. Endlos breitete

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