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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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ganzen Tag darüber nachdenken, wie der König die Gefahr überwinden würde.
    Die Kruste auf Diegos Wange fiel im Laufe der Tage ab. Seine anderen kleinen Verletzungen verschwanden, doch der eingebrannte Stern blieb, eine schwarze, hässliche Narbe in seinem Gesicht.
    Die Menschen, die wir trafen, sprachen ihn nicht darauf an, auch wenn ihre Blicke an dem Stern hängen blieben. Aber ihr Verhalten änderte sich. Sie wurden unsicherer, vorsichtiger, nicht so, als stünden sie vor einem Feind, sondern vor einem Fremden, mit dem sie nichts gemein hatten. Immer wieder beobachtete ich das.
    »Du hast unrecht«, sagte ich an dem Abend, an dem wir die Ziege aßen, mit vollem Mund.
    Wir saßen nebeneinander in einer windgeschützten Senke. Es war kühl in den Bergen.
    »Mit was?« Diego ließ nicht erkennen, ob es ihn überraschte, dass ich das Wort an ihn richtete. Ich hätte es vielleicht auch nicht tun sollen, es widersprach meiner selbstgewählten Regel, aber was ich gesehen hatte, war mir wichtig.
    »Wir sind nicht alle so, wie du denkst.«
    Er runzelte die Stirn. »Wenn du meinst …«
    Ich zerbrach einen Knochen und sog das Mark heraus. »Bevor ich auf den Kreuzzug ging, kannte ich nur Christen. Ich wusste, dass es Sarazenen gibt, die unsere Feinde sind, und Juden, die J esus Christus ermordet haben. Der Hirte, dem wir heute begegnet sind, weiß doch auch nicht mehr. Du bist wahrscheinlich der erste und letzte Jude, den er in seinem Leben gesehen hat. Natürlich ist er misstrauisch.«
    »Christen lehnen jeden ab, der kein Christ ist«, sagte Diego, so als erlaubte der Satz keinen Widerspruch.
    Ich widersprach dennoch. »Das stimmt nicht. König Friedrich von Sizilien reist sogar mit einem Sarazenen.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil ich es selbst gesehen habe.«
    Überrascht ließ Diego das Fleischstück sinken, in das er hatte beißen wollen. »Du bist dem König von Sizilien begegnet?«
    »Er hat mir geholfen.« Ich dachte an den Kirchenbann. »In gewisser Weise.«
    »Erzähl mir davon. Man sagt, er sei ein großer Mann.« Diego beugte sich vor. Seine Hand berührte mein Knie.
    Ich zog es zurück, warf den Knochen ins Feuer und legte mich auf die Seite, rollte mich in meinen Wollumhang ein.
    »Er ist Christ«, sagte ich. »Du würdest ihn nicht mögen.«
    Diego antwortete nicht.
    Nach einer Weile raschelte es. Ich dachte, er würde mit der Geschichte fortfahren, aber es blieb still. Als ich den Kopf drehte, sah ich, dass er sich ebenfalls hingelegt hatte.
    Es fiel mir schwer, ohne den Klang seiner Stimme einzuschlafen.
    Auch am nächsten Abend las er nicht. Wir lagerten außerhalb e ines Bergdorfs. Die Häuser aus grauem Stein schienen mit dem Fels zu verschmelzen. Jede flache Stelle wurde ausgenutzt, selbst der kleinste Fleck beheimatete eine Hütte oder einen Garten. Das Meckern der Ziegen begleitete mich in den Schlaf. Es war nicht dasselbe.
    Am Morgen danach schlug das Wetter um, und es begann zu regnen. Mit gesenkten Köpfen und schwerer Kleidung ritten wir den Weg hinunter, der sich zwischen Felswänden hindurchwand. Manchmal ging es auf einer Seite so steil nach unten, dass wir abstiegen, aus Angst, etwas könne die Pferde erschrecken und sie uns in den Abgrund werfen.
    Bis zum Abend hörte es nicht auf zu regnen. Eine Bäuerin, die wir in einem winzigen Kräutergarten trafen, beschrieb uns den Weg zu einer verlassenen Hütte ganz in der Nähe. Jemand hatte sich darin umgebracht, deshalb wollte dort niemand leben, und selbst das Holz verwertete man nicht, denn es war angeblich verflucht, so wie der Mann, der sich am Dachbalken erhängt hatte.
    Ich wünschte, Diego hätte mir das nicht übersetzt, denn den ganzen Abend über, während unsere Überkleidung am Feuer hing, um zu trocknen, musste ich daran denken, und immer wieder warf ich einen Blick auf den Balken, stellte mir vor, wie der Mann daran hin- und herschwang wie eine Schweinehälfte in der Burgküche. Der Gedanke nahm mir den Appetit. Am liebsten hätte ich vor der Hütte geschlafen, aber es gab dort keinen Unterschlupf, nur nackten Fels. Ich hätte mir den Tod geholt.
    In der Hütte knackte es überall, als das Feuer das Holz, aus dem sie errichtet war, erwärmte. Es gab kein Möbelstück, nur Stroh, und das kehrte ich beiseite, bevor ich mich niederließ, denn ich schlief lieber auf dem nackten Boden als auf dem Lager eines Selbstmörders.
    Ich hatte erwartet, dass Diego über mich lachen würde, aber er setzte sich ebenfalls auf das

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