Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
»Nebenwirkung« hat nicht mal anderthalb). Die Geschichte beginnt als handfeste Planeten-SF und entwirft so ganz nebenbei ein Universum mit von Menschen besiedelten Planeten, ganz eigenen Bedingungen und Techniken für die interstellare Raumfahrt sowie einem rätselhaften Planeten, an dem so manches nicht stimmt. Er ist offenbar künstlich geformt worden, beherbergt eine vollkommen rätselhafte, fremde Spezies, und es gibt auf ihm die Zeitspiegel. Das sind mehrere Meter durchmessende Flächen, durch die hindurch man in die Vergangenheit sehen kann. Rund um dieses Phänomen und die sehr unkommunikativ veranlagten Außerirdischen hat sich eine kleine Wissenschaftsindustrie gebildet wie weiland auf Solaris, und mit ganz ähnlichen Erfolgen, also keinen. Das Spiegelthema kehrt hier offensichtlich und auch indirekt gleich mehrfach zurück – die Zeitspiegel zeigen beispielsweise mitnichten nur die Vergangenheit. In den Gesprächen zwischen dem superreichen Besucher und seinem Betreuer spiegeln sich ihre Lebenserfahrung und Ansichten in denen des jeweils anderen, denn einer von ihnen ist nur eine Persönlichkeitskopie (und zwar die, die man aus »Die Maschine« bereits kennt). Und am Ende spiegeln Betreuer und Besucher einander gegenseitig noch auf ganz andere Weise. Das alles liest sich wie ein Kapitel aus einem Roman, oder wirkt wie ein Ausschnitt aus einem großen (Spiegel-)Bild, der ahnen lässt, dass da noch eine ganze Welt zu entdecken wäre.
Eingestreut zwischen den und mitunter auch in den Texten finden sich dann noch einige Gedichte, denn schließlich ist Erik Simon der meistveröffentlichte und erfolgreichste SF-Lyriker Deutschlands (allerdings auch der Einzige dieses Genres, wenn man vom Fan-Bereich absieht).
Wie schon in den zuvor erschienenen drei Bänden von »Simon’s Fiction« gibt es auch im vierten einen Anhang. Da wären ausführliche Anmerkungen, in denen der Autor aus dem schriftstellerischen Nähkästchen plaudert, und der Beweis, dass die Deutsche Demokratische Siewissenschon in der Antarktis nach wie vor fortbesteht, sowie eine Klarstellung zu den Eingriffen, die die DDR-Ausgabe von Wolfgang Jeschkes »Der letzte Tag der Schöpfung« erlitten hat (eine erhellende Fußnote zur Funktionsweise angewandter Kulturpolitik).
Und wie schon bei den zuvor erschienenen drei Bänden von »Simon’s Fiction« gibt es für Liebhaber ideengetriebener und gern auch mal vertrackter Science Fiction eine unbedingte Kaufempfehlung für »Zeitmaschinen, Spiegelwelten« – und hier ist ja noch nicht Schluss, Leute. Im Kleingedruckten wird ein fünfter Band versprochen. Ich möchte wetten, dass der wieder ein paar Jahre auf sich warten lassen wird. Egal, es hat sich dieses Mal ja auch gelohnt.
Karsten Kruschel
BENJAMIN STEIN
REPLAY
Roman · C. H. Beck Verlag, München 2012 · 176 Seiten · € 17,95
Ed Rosen ist leidenschaftlicher Zeichendeuter und in Harvard promovierter Software-Spezialist für komplexe Systeme, die das nervengeweblich Organische mit dem nervenähnlich Anorganischen zu verbinden versuchen, und verfügt aufgrund einer angeborenen Muskelschwäche des (dadurch unbeweglichen) rechten Auges über eine eingeschränkte, nämlich zweidimensionale Sehfähigkeit. Er bewirbt sich bei der Forschungsabteilung der United Communication Corporation, eines Unternehmens, das von dem vor der chilenischen Militärdiktatur geflüchteten Professor Juan Matana geleitet wird. Matana, seinerseits »mit einem Körper geschlagen, an dem nichts zusammenpasste«, unterbreitet Rosen ein überaus großzügiges vertragliches Angebot – unter der Bedingung, dass Letzterer seine äußere Erscheinung in angemessene Form bringt. Unter Anleitung seiner Freundin Katelyn beginnt Ed seine Körperoptimierung, an deren Ende der Vorschlag einer Modifizierung steht: Matana gewinnt ihn als erste Versuchsperson, die sich das UniCom einoperieren lässt, ein Neuro-Digital-Implantat, das die Sinne schärft, den Träger in »den nicht versiegenden Strom weltweiter Kommunikation« einklinkt und Ed erstmals dreidimensional sehen lässt. Dem Firmencredo, welches besagt, dass die Wirklichkeit der Welt sich allein durch ihre jeweilige Wahrnehmung konstituiert, folgen bald über siebzig Prozent der US-Bürger. Dieser überwältigenden Mehrheit der Implantat-Träger stehen die das UniCom strikt ablehnenden »Anonymen« gegenüber, beargwöhnte Außenseiter, als deren vor Orwell’scher Totaltransparenz warnende Wortführer sich
Weitere Kostenlose Bücher