Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
Unzulänglichkeit einzureiben vermögen. Ein solches freudiges Ereignis ist auch »Die Vorzüge der Dunkelheit«, der neue, in Teilen 2011 und 2012 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorveröffentlichte Roman des 1932 geborenen Prosaschriftstellers, Lyrikers, Hörspielautors, Tonarchivars, Fußballanalytikers und Collage-Bildkünstlers Ror Wolf. Zwar hat sich dieser (als solcher immer noch viel zu wenig gewürdigte) gigantisch Große unter den Gegenwartsdichtern seit jeher so wenig um Gattungsgrenzen wie um die für Hochliteraten implizit verpflichtende Abgrenzung zu trivialen Unterhaltungsgenres geschert und dabei ein Werk geschaffen, das sowieso – trotz der immerhin viertelwegs hilfreichen, üblichen kritischen Annäherung an den vor allem textlichen Teil desselben über Bezugssystemkoordinaten wie Franz Kafka, Robert Walser, Samuel Beckett, Peter Weiss, Surrealismus, Groteske, Komik und Nouveau roman – sein eigenes Genre bildet, und diese auf 29 Kapitel verteilten und von 79 farbigen und schwarz-weißen Collagen begleiteten »Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen« führen die hybride Gesamtwerkskohärenz weiter fort. Bereits Ror Wolfs »Raoul Tranchirers Enzyklopädie« ist eine »Enzyklopädie für unerschrockene Leser« und liefert mit ihrem vierten Band von 1994 »Tranchirers letzte Gedanken über die Vermehrung der Lust und des Schreckens«; erst 2008 erschienen »Aufzeichnungen aus dem Archiv der Wirklichkeitsfabrik« unter dem Titel »Eine schöne Umgebung oder Neuigkeiten aus dem Gebiet der dunklen Gefühle«. Das Bizarre, Unheimliche, Monströse und Albtraumhafte sind keineswegs unbekannte Elemente in Wolfs vorangehenden Büchern.
Mit der Untertitelung der »Vorzüge der Dunkelheit« als Horrorroman gattungskontextualisiert der Autor jedoch präziser als sonst und erlaubt damit, dieses einmal mehr furiose Sprach- und Bildwunder durch die einem entschieden auf die Nase gesetzte Genre-Brille zu betrachten, mag auch ein derart stur verengter Blick der ganzen Sache nur in höchst bescheidenem Ausmaß gerecht werden. Allein das blanke Wort »Horrorroman« zerfällt einem, so man sich mit dessen Artikulation nicht ordentlich Mühe gibt, leicht und schnell wie ein modriger Pilz im Mund, und der »Ror« steckt auch schon ungefähr zwei Male aufs allerschönst vivisektorisch Silbenzerlegte und Anagrammatische darin. Horror, Dunkelheit, Verschlingen – bei Wolf sind derartige Wörter so musikalisch wie vage-abstrakt und akkurat inhaltsbezeichnend zugleich, denn es ist höchstens die halbe Binsenwahrheit, dass Wolfs Geschichten keine Handlungen erzählen. Es passiert im Gegenteil eine schier unglaubliche Menge an glaubwürdig Unglaublichem in »Die Vorzüge der Dunkelheit«. Nur hat Ror Wolf gegenüber den konventionellen und im Zweifelsfall so ungenauen wie banalen Erwartungen an das prosaliterarische »Erzählen« von »Handlungen« aus guten immanenten Gründen gänzlich unkonventionelle Vorstellungen davon, wie der entsprechenden Informationspflicht nachzukommen sei. Einige unmittelbar horroraffine Beispiele (und man muss sich beherrschen, aus notgedrungener rezensorischer Demut und Minderwertigkeit nicht den halben Roman herunterzuzitieren) mögen einen Eindruck von Wolfs Erzählkunst und malerisch-melodiös-minimalistischer Wort- und Bildmacht vermitteln. »Etwas tropfte durch meine Finger hinab auf den Tisch auf den Teller. Mein Gesicht floss fort, und neben den Füßen sah ich rohes Fleisch auf dem Boden liegen, in der Nähe des Waschbeckens, das plötzlich davonkroch. Plötzlich hatte ich auch den Eindruck, dass etwas Fremdes aus mir herauswuchs, etwas Haariges Fettes Stummes.« Oder: »Ich hörte das Knacken der Haken, das Aufschlitzen oder das Aufreißen, also das Öffnen, das Auseinanderklappen, das langsame Auseinanderschieben und das Atmen, das Atmen. Es roch nach Morast, nach verschlungenen Tieren, nach Leichen und Moder und Blut.« Oder: »Später verschwand ich. Zu meinem Verschwinden ist nichts zu sagen; es passte gut in den Ablauf dieses Berichts. Und noch später, an einer anderen Stelle, tauchte ich wieder auf, während ameisengroße Tiere über mich herfielen, aber ich habe jetzt keine Lust, von ameisengroßen Tieren zu reden, obwohl sie in Schwärmen über mich herfielen, ameisengroß, mit großer Gefräßigkeit.« Oder: »Ich fühlte nur diesen fürchterlichen unerträglichen ekelerregenden – ja, kann man sagen.«
Abgesehen von der mal komischen, mal zutiefst
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