Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
aber gerade darin besteht sein Reiz. In den zahlreichen kuriosen Bausteinchen seiner Zukunftswelt. In seinem Wildwuchs, der manchmal von Schlamperei nur schwer zu unterscheiden ist und der Logik immer wieder eine Nase dreht. In dem vielfachen atemlosen Kippen einer Realität, in der sich der Leser gerade eingerichtet hat.
Wer oder was Palmer Eldritch wirklich ist, erfahren wir auch im Roman nicht, aber es kann interessanter darüber gerätselt werden. Seine Gestalt bleibt das unsichtbare Auge des Sturms, das die Fantasien der anderen wild umkreisen.
Man muss Dicks philosophische und theologische Spekulationen auch gar nicht allzu ernst nehmen – seine Figuren jedoch tun es und beziehen daraus Handlungsimpulse. Wer dieses Element beim Übertragen in ein anderes Medium zu beiläufig behandelt, raubt der Geschichte eine weitere Farbe.
Wenn Dick seine vielfältigen Parallelwelten, deren Aufbau und Auflösung schildert, hat das die Intensität von surrealistischen bewegten Bildern, schafft damit eine Atmosphäre anhaltender Verunsicherung. Dazu nur ein Zitat aus dem Roman: »Wie ein euphorischer Orchesterdirigent mit den Armen fuchtelnd, versuchte Leo ein Jet-Taxi in die Luft zu zaubern. Nach einer Weile zeichnete sich ein vager Umriss ab. Aber das Taxi blieb ohne Substanz, farblos, nahezu durchsichtig; er stand auf, ging näher heran, nahm all seine Kraft zusammen und versuchte es ein zweites Mal. Einen Augenblick lang schien es Form und Farbe zu gewinnen, dann plötzlich wurde es fest; wie ein harter, abgeworfener Chitinpanzer fiel es in sich zusammen und zerbrach. Seine bestenfalls zweidimensionalen Einzelteile wehten flatternd umher und gingen nach und nach in Fetzen …« Im Hörspiel teilt uns solche optischen Vorgänge, zwangsläufig mit eingedampftem Text, eine Erzählerstimme mit, und eine Soundkulisse versucht dazu, die entsprechende Stimmung zu erzeugen.
Ach ja, der Erzähler, die Krücke so vieler Romanbearbeitungen – ohne ihn geht es nicht, aber meistens spürt man eben seine Funktion als dramaturgischer Notnagel. Bei dieser speziellen Bearbeitung verändert sein Einsatz auch noch die Gesamtwirkung in eine bestimmte Richtung: Zwar benutzt auch der Autor Philip K. Dick erzählend für seine Figuren das distanzierte Personalpronomen ER, aber es ist klar, dass die verschiedenen Szenen jeweils aus der ICH-Perspektive einer Person erlebt werden, und dass deshalb das Erlebte immer unserem Zweifel unterliegen muss. Der gleichbleibend außen stehende Erzähler der WDR-Produktion mit seiner eigenen Stimme wirkt dagegen wie eine objektive Instanz, bringt eine Linearität in die Geschichte, die sie erzählbar macht, aber letztendlich verharmlost. Aber hätte man ohne ihn auskommen können? Nein, auf keinen Fall.
Aber war es ein Gewinn, dieses Hörspiel überhaupt zu machen? Offenbar wollte man eine neue Facette der Geschichte von 1964 zeigen – das Bauen künstlicher, scheinbar freier, aber dennoch fremdbestimmter Individual-Universen findet ja heute weniger im Drogenrausch als im Internet statt. »Die Verschmelzung von Virtualität und Wirklichkeit ist längst Teil unseres Alltags geworden. Jeder kann im Netz der Held und Schöpfer seines eigenen Universums sein«, so kann man in der Hörspielankündigung lesen. Doch ein solcher Bezug wird dann nicht einleuchtend genug herausgearbeitet, ein Anspruch auf Aktualisierung nicht eingelöst.
Die Regie hat spannende Momente, vor allem bei der Gestaltung der kollektiven Konsumträume unter Einfluß von Can-D. In den zwischen den Erzählertexten verteilten Dialogpassagen können renommierte Schauspieler wie Felix von Manteuffel, Udo Schenk und Hans Kremer auftrumpfen. Und die beiden Sounddesigner legen unter alles einen dicht gewebten Teppich von Geräuschen und Musik wie für einen großen Kinofilm.
Das mag manchen Hörern genügen; die anderen, enttäuschten, mögen bitte nicht vergessen: Philip K. Dick hat keine langweiligen Bücher geschrieben. Er hat nur Romane geschrieben, von denen sich die meisten nicht für eine Hörspielbearbeitung eignen. In seinen zahlreichen Kurzgeschichten dagegen steckt viel mehr Stoff für Dramatisierung; nicht ganz zufälligerweise basieren, mit Ausnahme des legendären Blade Runner , auch die Verfilmungen auf längeren Short Storys des Autors.
Und das Allerbeste wäre natürlich, nicht Philip K. Dicks Geschichten mehr oder weniger brav nachzuerzählen, sondern, diesmal vom Wissensstand der Gegenwart abhebend, in seinem Geist
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