Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
zu Beginn: »Wir haben eine Wohnung. Und das ganze Pack bleibt draußen.«
Das Hörspiel verwendet ein paar Motive aus Strugatzki-Werken, insbesondere aus Boris Strugatzkis »Die Suche nach der Vorherbestimmung«, streut sie aber ganz willkürlich und zusammenhanglos ein, und die Namensgebung für den Hausmeister kann ich auch nicht als Reverenz empfinden (obwohl sie vermutlich so gemeint ist). Nicht nur Arkadi Strugatzki, der als Offizier der Roten Armee an Verhören japanischer Kriegsverbrecher teilgenommen hat (und nie darüber reden wollte) – selbst ein, sagen wir, Wladimir Kaminer könnte sich kaum geehrt fühlen, als derartiges Weichtier porträtiert zu werden.
… wie ein Lied ist – nicht zuletzt dank der ätherisch wirkenden Musik darin – ein durchaus stimmungsvolles Hörspiel, inhaltlich aber ein sehr simples Märchen. Die Fantastik der Strugatzkis indes handelt von der wirklichen Welt und ihren Problemen, nicht von vagen Stimmungen und Befindlichkeiten.
Erik Simon
HEINZ VON CRAMER
UNERWARTETE EREIGNISSE
Regie: Burkhard Schmid · Hessischer Rundfunk 2012
»Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.«
Franz Kafka, 1904
Dieses Motto könnte für Heinz von Cramers Hörspiel nicht treffender sein. Dabei beginnt die Geschichte zunächst eher harmlos. Ein Ehepaar, abends in seiner Wohnung, Small Talk, die Frau wundert sich, dass es seit Wochen keine Zeitungen mehr gibt, schaltet das Fernsehgerät ein, aber es gibt auch keine Acht-Uhr-Nachrichten mehr. Sie geht in die Küche, um das Abendessen zuzubereiten. Ein ohrenbetäubender Lärm schreckt ihren Mann im Wohnzimmer auf. Er geht in die Küche: Tot liegt seine Frau auf dem Boden. Herzstillstand, Schlaganfall? Egal, um sie herum der Inhalt eines ganzen Küchenregals! Theatralische Eröffnung! Und erstaunlich, dass sich der Ehemann mehr über das in der Küche entstandene Chaos aufregt als über den Tod seiner Frau, »ein bisschen Aufmerksamkeit selbst beim Sterben wäre schon angebracht gewesen«.
Es geht in diesem Hörspiel um nichts Geringeres als um Schmerzlosigkeit in all seinen Facetten. Das reicht von der physischen Gefühllosigkeit, die eine Narkose bei Operationen unnötig macht, bis zur psychischen Gefühllosigkeit, inklusive aller daraus resultierenden Folgen wie zum Beispiel der Unfähigkeit zur Empathie. Und das wird als rabenschwarze Komödie vorgeführt, die immer wieder ins Makabre bis Groteske abgleitet. Dieses Hörspiel erweist »in der Form der utopischen Literatur dem Genre der schwarzen Komödie mit all ihren gezielten Tabubrüchen und Geschmacklosigkeiten seine Reverenz«, hob die Jury der Akademie der Künste hervor, als sie dieses Hörspiel zum »Hörspiel des Monats Mai 2012« kürte.
Alle handelnden Personen sind namenlos, ohne Individualität, sie stehen nur exemplarisch für die Mitglieder ihres Staates, allenfalls tragen sie Berufsbezeichnungen wie »der Buchhändler« oder »der Priester«. Irgendwann in der Zukunft spielt die Geschichte, in Deutschland und in Italien, in den beiden Ländern also, in denen Heinz von Cramer selbst gelebt hat. Und er extrapoliert aufgrund seiner eigenen Erfahrungen, Erscheinungen und Entwicklungen in diesen beiden Ländern, die in starkem Kontrast zueinander stehen. So gleitet in Deutschland das Ordnungs- und Kontrollsystem in diktatorische Züge ab, nur andeutungsweise skizziert, und in Italien dominiert das Chaos, ausgedrückt in unendlichen Müllbergen, die jegliche Bepflanzung verhindern und eine wüstenähnliche Landschaft schaffen, in der es Kamele statt Taxen gibt. Daraus ergeben sich zahlreiche makabre bis groteske Bilder. Menschen werden vom Wüstensturm über die Müllberge hinweggefegt, in den entstehenden Flammen verbrennen zwei Menschen einfach so, »zwei Häufchen glücklicher Asche« (und dazu Walzermusik!), und die Toten werden als Sperrmüll abtransportiert.
Hinsichtlich der Berge geschredderten Mülls verweist die Jury der Akademie der Künste in ihrer Begründung auf den Begriff »ruins in reverse«, den Robert Smithson, bekannt als Künstler der Minimal Art und Land Art, 1967 nach einer Fotoreise, im Gepäck Brian W. Aldiss’ »Earthworks«, geprägt hat »für den Zustand einer Kultur, die alles dem Verfall überlässt, kaum dass es erbaut ist … Die ›Ruinen‹ unserer Gegenwart, so Smithson, evozieren im Unterschied zu den Ruinen der Romantik keine Sehnsucht mehr nach der Vergangenheit, sie werfen nur noch die Frage auf, woran wir erkennen
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