Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
ganzen Schwarm von Gegenständen in der Schwebe hält, die zweite erwähnt ein altes Foto, auf dem Kira im Alter von etwa vier Jahren mit einem anderen Mädchen zu sehen ist, das ihr sehr ähnelt – obwohl sie ein Einzelkind ist. Dann wird über eine Fehlbildung in Kiras Hirn referiert, deren Funktion durch die Medikamente unterdrückt wird. Schließlich wird noch mitgeteilt, das KGB in der Sowjetunion habe mit Menschen experimentiert, die über paranormale Eigenschaften verfügen, und angedeutet, Kira könnte das Kind einer solchen paranormalen Frau sein. Auch »Arkadi Strugatzki«, der nicht müde wird, von seinem siebten Sinn zu reden, scheint in Kira das Außergewöhnliche zu spüren und zeigt sich überrascht, dass sie selbst nichts davon weiß.
Unterdessen bedroht der Böse Deutsche Staat, vertreten durch seine Beamten, Kiras Mutter, um auch in Zukunft Kira beobachten und erforschen zu können. (Der Vermieter/Hausmeister mit seiner einschleimenden Manier müsste nach den dramatischen Regeln des Genres auch so ein Beobachter sein, vielleicht ein Agent des FSB oder eines anderen russischen Geheimdienstes; er erweist sich aber stattdessen als eine Art guter Geist, der Kira helfen will.) Als Kira am zweiten Tag ihres Verzichts auf Medikamente in einen körperlich bedrohlichen Zustand gerät, ruft Evrim ihre Mutter an; dadurch kommt der Böse Deutsche Staat auf Kiras Spur und schickt seine Schergen in die Gegend, aus der der Anruf kam.
Diesen in der vorangestellten Zusammenfassung angekündigten Punkt erreicht das Hörspiel nach gut einer halben Stunde. Man weiß da schon seit geraumer Zeit, dass Kiras besondere Gabe sicherlich zum Durchbruch kommen wird, und wüsste nur noch gern, was dann eigentlich passiert und wie alle die esoterischen Andeutungen unter einen Hut kommen.
Alsdann, dieses passiert: Die Schergen kommen zu spät, die Anwohner erzählen ihren Eindruck, es seien hundert Fensterscheiben zersprungen (obwohl alle heil sind), Kira und Evrim sind verschwunden, und Arkadi Strugatzki isst lauter steinlose Kirschen.
Kira hat eine Art Vision, in der sie ihrem Alter Ego begegnet, ihrer »Schwester«. Dann erwachen Kira und Evrim in ihrer Wohnung, wo plötzlich ein meterhohes Kirschbäumchen aus dem Fußboden gewachsen ist, und der Vermieter heißt nicht mehr Arkadi, sondern Boris Strugatzki.
Die Hoffnung, irgendeine Logik in der Wundertüte zu erspähen, erfüllt sich indessen nicht. Natürlich kann man sich vorstellen, die beiden seien in eine Parallelwelt geraten, aber selbst dann passt vieles nicht. So hat beispielsweise Evrim, als er Kiras Mutter anrief, seiner Liebsten vorgeschwindelt, er habe eine Pizza bestellt; diese nicht bestellte Pizza brachte ihm gleich darauf der wundertätige Arkadi Strugatzki. Die zu spät gekommenen Schergen vermelden aber in ihrem Schlussbericht auch einen Pizzaboten, der das Haus gerade erreichte, als »hundert Scheiben klirrten«. Es braucht schon eine Menge guten Willens, darin ein System zu erblicken und nicht bloß Beliebigkeit. Die »Schwester« erscheint bald als Fantasieprodukt, bald als Alter Ego Kiras, denn die ist ja erklärtermaßen ein Einzelkind. Der Böse Deutsche Staat allerdings mitsamt seiner Bürokratie scheint auch esoterische Momente zu haben, denn seine Beamten drohen Kiras Mutter damit, das »Asylrechtsverfahren von Kiras Schwester« zu torpedieren. Welcher Schwester, bitte schön? Der transzendenten?
Die Parallelwelt-Hypothese hätte freilich noch einen gravierenderen Mangel: Um als solche wahrgenommen zu werden, müsste die Parallelwelt sich von unserer ja irgendwie signifikant unterscheiden. Aber in dem ganzen Hörspiel kommt praktisch überhaupt keine Welt vor, abgesehen vom schon erwähnten wohlfeilen Klischee des Bösen Deutschen Staates. Die beiden jungen Leute schweben frei im Raum, sie haben anscheinend keine Pflichten, keine Ziele, keine Interessen, keine sozialen Bindungen, und wenn sie nicht wenigstens einander hätten, könnten sie sich in Luft auflösen, und niemand außer den staatlichen Spitzeln und Kiras Mutter würde es merken – falls Letztere etwas merken kann, denn wenn sie auf ein Stück Pappe gemalt wäre, hätte ihr Charakter mehr Profil. Ihre Ankunft in der schönen neuen Welt mit Kirschbäumchen löst bei den beiden denn auch nur eine gelinde Überraschung aus, aber keine Spur von Verwunderung oder Irritation. (Irgendwo wird die Sozialhilfe schon herkommen.) Den Schlüsselsatz des ganzen Hörspiels sagen die beiden gleich
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