Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
immer häufiger in virtuellen Räumen ab. Gefragte Spezialisten lassen ihre Körper in künstliches Koma versetzen, um als »BIBs – Bodyless Industry Beings« ihr geistiges Potenzial hocheffizient und flexibel für die Server globaler Auftraggeber arbeiten zu lassen. Menschen mit Behinderungen können dem Real Life entfliehen, um online ein unauffälliges Leben zu führen. Komapatienten bekommen die Chance auf einen Neustart in virtueller Umgebung jenseits des unbrauchbar gewordenen Körpers. Auch die Politik hat die ökonomischen Vorteile rein geistiger Existenz erkannt und entzieht Straftätern das Recht auf den eigenen Körper, der Platz und Energie sparend in künstliches Koma versetzt wird, während die Häftlinge einem virtuellen Strafvollzug entgegensehen. Selbst der Tod bedeutet im Jahr 2030 nicht das Ende des Lebens. »Der Körper ist vergänglich, aber Ihre Seele hält ewig«, wirbt die »Hoffnungsindustrie«. Wer gut versichert ist, lässt sich nach dem Exitus rebooten und das Back-up seines Bewusstseins in einem neuronalen Netzwerk wiederauferstehen, das in einem formschönen Kubus von 30 cm Kantenlänge zum Blickfang wird und mit den Angehörigen sogar kommunizieren kann.
Das ist auch Jeremys Schicksal nach einer missglückten Implantat-OP, doch während seine Schwester Meigan zu Hause auf ein erstes Lebenszeichen seines virtualisierten Ichs wartet, wird die Wohnung von einem Einsatzkommando gestürmt und der Kubus entführt. Über Online-Connections kommt Meigan einer folgenschweren Verwechslung auf die Spur, in deren Folge das Bewusstsein eines Häftlings an Jeremys Stelle in den Kubus transferiert wurde. Jeremy dagegen, der sich nach dem Erwachen in einer postoperativen Aufwachumgebung wähnt, muss sich eines Besseren belehren lassen: Nach Komplikationen ist er ins Koma gefallen, aber sein Bewusstsein befindet sich keineswegs in einem Kubus, sondern in einem Online-Gefängnis.
Tatsächlich wird er festgehalten, um die Verwechslung zu vertuschen, weil seine Mutter eine prominente Politikerin ist. Denn bei dem irrtümlich in den Kubus gelangten Häftling handelt es sich um eine Persönlichkeit mit höchst brisantem Wissen von einer Sprengkraft, die den Staat in seinen Grundfesten erschüttern würde.
Futur II. Von 2030 an scheint der technische Fortschritt sich merklich verlangsamt zu haben, zumindest auf dem Gebiet der Energieversorgung: Ausgerechnet die Kernkraft hat in Deutschland eine Renaissance erfahren und wird in erheblichem Umfang genutzt, und das, obwohl die Frage der Endlagerung des Atommülls nach wie vor nicht gelöst ist. Und wo Kernreaktoren in Betrieb sind, gibt es natürlich auch Widerstand, wenn auch mit Kritikern deutlich weniger »zimperlich« umgegangen wird als heute: Sie werden kurzerhand abgeurteilt. Wohin aber mit den ausgebrannten Brennstäben und wohin mit den überhandnehmenden inhaftierten Atomkraftgegnern? Da kommt der Politik Ende des 21. Jahrhunderts eine Erfindung wie gerufen, mit der man vielleicht gar nicht so viel anzufangen wüsste, wäre sie nicht auf geradezu ideale Weise geeignet, die genannten Probleme zu lösen, denn die radioaktiven Abfälle können nun problemlos in der Vergangenheit entsorgt werden und die Oppositionellen gleich mit. Erfreulicherweise muss niemand befürchten, die so angelegten Deponien könnten wiederum Auswirkungen auf die Zukunft haben, denn, wie ja hinlänglich bekannt, verändern Manipulationen der Vergangenheit niemals die eigene Zeitlinie, sondern stets nur eine alternative. Es gibt eben für alles eine Lösung, und mit ein wenig Innovationsfreude kann man sich den ganzen Verdruss mit Gorleben sparen – so einfach ist das!
Futur III. Hier eine innovative, onlinefreudige, dort eine zynisch-skrupellose, »Export«-orientierte Zukunft. Was aber verbindet diese beiden höchst unterschiedlichen Szenarien zu dem titelgebenden Futur III ? Ganz einfach: Einer der Kernkraftgegner aus Futur II ist es, der nach Futur I abgeschoben wurde und dort versehentlich in jenen Kubus gelangt ist, der für Jeremy vorgesehen war. Denn die Dissidenten werden nicht leibhaftig deportiert, sondern als virtuelle Back-ups. Und natürlich bleiben sie auch in Futur I weiter in Haft – nicht auszudenken, was geschähe, wenn deren brisantes Wissen über die Zukunft und die ungebetenen Atommüll-Importe publik würde!
Im virtuellen Gefängnis des Jahres 2030 sieht sich also der ahnungslose Jeremy mit 123000 Deportierten aus der Zukunft konfrontiert. Zum Glück
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