Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
mit Lem beschäftigen soll. Die Science Fiction stellt an ihre Autoren sehr hohe Ansprüche, die – wie Lem nicht aufhörte zu betonen – zu selten eingelöst wurden. Wells, Stapledon, Clarke – das sind große Namen, die zu ihrer Zeit die Science Fiction als Ideenliteratur vorangebracht haben. Gerade als SF-Autor ist man ein Spieler ums Ganze und wechselt nicht in kleiner Münze. Das hat Lem auf beeindruckende Weise geleistet. Insofern gehört er bei aller Kritik und Streitbarkeit im Einzelfall in diese Traditionslinie. Die Vielfalt seines Werks ist innerhalb des Genres und darüber hinaus bis heute unübertroffen. Wie Andy Sawyer es 2011 in der britischen Anthologie »Lemistry« formulierte: »Lem is simply too large for science fiction itself.« Magnusson wiederum gibt sich als gelehriger (und belesener) Schüler Lems zu erkennen; seine unkritische Herangehensweise ist aber nicht unproblematisch. Gleich in seiner Einleitung heißt es: »Lem hat einer unvermeidlichen Empirisierung in der Science Fiction Vorschub geleistet. Wenn man Lems Werk in seiner Entwicklung verfolgt, wird dem Leser schnell klar, mit welcher Systematik und Akribie der polnische Autor an seinem Projekt, eine rational belastbare Ableitungsstruktur für die phantastischen Gedankengebäude zu legen, gearbeitet hat. Während der Großteil der Science Fiction in luftigen Ideenwolken verbleibt, war es vor allem Lem, der für eine Anbindung seiner Literatur an die Wirklichkeit sorgte und damit das Referenzmodell für eine logisch-empirisch begründbare Science Fiction schuf.«
In diesem Stil geht es seitenlang weiter. Aber ist Magnussons Einschätzung so richtig und kommt sie dem Phänomen der SF-Literatur nahe? Wir werden uns besonders auf Lems zweibändiges Werk »Phantastik und Futurologie« (Frankfurt/M. 1984) beziehen, das Magnusson ausführlich referiert. Lem stellt gleich zu Beginn die Frage, was eigentlich ein phantastisches Objekt sei. Offenbar gibt es Gegenstände des Denkens, deren Existenz nicht nachgewiesen werden kann, die somit ausgedacht und eben dadurch phantastisch sind wie zum Beispiel Bewohner auf Alpha Centauri. Der Gottesglaube ist phantastisch, aber für diejenigen, die in diesem Glauben leben, existiert ein höheres transzendentales Wesen. Phantastisch ist ein solches Gedankenobjekt auch in dem Sinn, dass es unanschaulich bleibt. Die idealen Objekte der Mathematik stellen eine weitere Klasse phantastischer Objekte dar. Solche Denkinhalte werden auch durch die wissenschaftlich-technische Entwicklung beeinflusst, indem ehemals undenkbare Ereignisse wie eine Kopfverpflanzung bei Affen zumindest vorübergehend ein neues Wesen erzeugen und damit ansatzweise die mythische Idee der Chimäre »entphantasieren«. Wohl immer eine Kopfgeburt der Phantasie wird Atlantis bleiben. Auch das SF-Subgenre der Alternativweltgeschichte lebt davon, dass in diesem unmögliche, nicht stattgefunden habende, aber nicht gänzlich unwahrscheinlich gewesene Annahmen aus dem Geschichtsverlauf durchgespielt werden wie etwa ein Sieg der Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg.
Man kann also je nach Wahrscheinlichkeit eine Stufenabfolge des Existenz-Status phantastischer Objekte feststellen. Bei solchen Symbolkonstruktionen ist eine Hierarchie an realer Wirkungsmächtigkeit entstanden. Es sind Zeichen vorhanden, mit deren Hilfe man in den Stoff eingreifen kann, so mit dem Programmcode. Mit einem »quadratischen Kreis« kann man keine Maschine bauen. Zugleich ist ein »geflügeltes Pferd« näher an der Realität dran als ein solcher Kreis, da es eines Tages möglicherweise als biotechnologisches Produkt erzeugt werden kann. Schriftsteller nehmen die Freiheit in Anspruch, davon zu erzählen – worauf Lem hinweist –, dass niemand je das letzte verbliebene Mitglied einer sterbenden kosmischen Spezies gesehen habe, was von einem realistischen Erzählstandpunkt vollkommen unmöglich ist. Lem in »Phantastik und Futurologie I«: »Bei der Vorbereitung unserer Reise zum SF-Land sind für uns sowohl die Dinge am interessantesten, die es heute noch nicht gibt – obwohl sie irgendwann entstehen können –, als auch jene, die es nicht gibt und wahrscheinlich nie geben wird, die aber existiert ›haben könnten‹ – wobei diese ihre Existenz nicht im geringsten Widerspruch zu den Naturgesetzen steht.«
Damit grenzt Lem das Feld der Science Fiction ein auf einen »Gestaltungskorridor« zwischen zwei virtuellen Vorgehensweisen, in dem die imaginär
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