Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
individuelles Leben wünscht.
Auch Lem kommt zu dem Schluss, dass das Kontraempirische mit der Empirie konvergieren könne. Er will das »Kriterium der Sinnhaftigkeit« gar nicht zum alleinigen Maßstab machen; die Rhetorik dürfe aber nicht die Argumentation »ersetzen«. Dahinter verbirgt sich allerdings das größere Problem, dass die Phantastik nach der Folie der Wissenschaft gestaltet und damit in ihren Darstellungsqualitäten eingeschränkt wird. Lem sieht das Problem: »Die Kunst aber kann sich nicht mit jenem Grundstock von Verboten begnügen, den die Empirie respektiert, weil sie sie als Naturgesetze nicht verletzen darf. Ein solches Vorgehen würde die Kunst auf ihren Nullpunkt reduzieren; die Beschränkung auf kognitive Ziele, typisch für die Empirie, müsste die Kunst immer mehr an die Empirie angleichen, bis sie schließlich und endlich zu einem Plagiat, einem Schatten der Wissenschaft herabsinken würde.« (Phantastik und Futurologie II)
Diesen Hinweis übergeht Magnusson geflissentlich. Wenn sich zudem der Richtwert des Empirischen als Maß aller Dinge in der Science Fiction durchsetzen sollte, besteht für Lem die Gefahr, dass es – gerade wegen der wissenschaftlichen Korrektheit – zu einer Gleichförmigkeit der schriftstellerischen Arbeiten kommen könnte und damit zu einem »Originalitätsverfall«. Zähneknirschend muss Lem in seinem Aufsatz »Die SF – strukturalistisch gesehen« eingestehen, dass sachliche Fehler von Lesern sogar positiv beurteilt werden können, also man empirische Richtigkeit nicht als das Wichtigste akzeptieren müsse.
Doch in welchem Verhältnis steht Lems Theorie zu seiner praktischen Arbeit? Das Raumschiff Der Unbesiegbare sucht in dem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1964 nach einem verschollenen Schwesterschiff. Auf einem fremden Planeten entdecken sie das Wrack und beobachten metallene Schwärme in der Nähe. Ein Mitglied der Besatzung erkennt schließlich, dass es sich bei den schwarzen mobilen Teilchen um nicht-intelligente automatische Waffensysteme zur Verteidigung handelt, die sich möglicherweise im Zuge einer technischen Evolution im Kampf gegen intelligente Roboter gebildet – und diese besiegt haben. Ohne Sinn und echten Zweck funktionieren sie nach Jahrtausenden noch, während die ursprüngliche Konfliktlage, in der sie entstanden sind, schon lange vergessen und die Oberfläche des Planeten zerstört ist. Ohne Vorwarnung haben sie die erste Expeditionsrakete angegriffen und vernichtet. »Der Unbesiegbare« ist eine spannende Geschichte, die die Kriterien einer logischen Analyse eines ungewöhnlichen Sachverhalts erfüllt. Aber das Werk offenbart eine weitere spannungsgeladene Konfliktsituation, die sich aus den Unwägbarkeiten der menschlichen Psyche ergibt und nicht so einfach rational zu lösen ist. Während des Aufenthalts hat der Kommandant verschiedene Vorstöße ins umliegende Land angeordnet, da das Bedrohungspotenzial nicht bekannt war. Soll man bei diesen Aktionen vermisste Astronauten zurücklassen, oder soll man unter allen Umständen versuchen sie zu retten, obwohl die Gefahr für die ganze Mission jetzt richtig eingeschätzt und nicht beherrscht werden kann? Wenn der Kommandant sich für eine Rettungsaktion entscheidet, wen soll er dann mit dieser hochgefährlichen Mission beauftragen? Spricht er jemanden an, der ihm ergeben ist, oder jemanden, der mit ihm spinnefeind ist? Wie wirkt die Entscheidung auf andere, gefährdet sie unter Umständen den Zusammenhalt? Daraus entwickelt Lem im letzten Teil des Buches ein faszinierendes Psychodrama. Der Kommandant gerät von manchen unter Beschuss, weil er nach der Expertise nicht sofort den Planeten verlässt. Er ist aber offenbar der Meinung, das auch die wahrscheinlich getöteten Astronauten noch Teil seiner Mannschaft sind – er muss also eine Balance aus Sicherheitsdenken und flexibler Reaktion auf Notfälle halten und diese nach außen sinnvoll vermitteln. Dass am Ende einer hochriskanten, zeitlich terminierten Ein-Mann-Suchaktion eines Untergebenen wenigstens persönliche Gegenstände der Opfer an Bord gebracht werden können, erweist sich als eigenartig »richtig«. Lem beschreibt in diesem Buch viel mehr als nur ein interessantes planetares Technikszenario, das originell Kybernetikideen seiner Entstehungszeit Resonanz gibt. Der Kommandant riskiert viel, indem er einen so gut wie aussichtslosen Rettungsversuch in die Wege leitet, aber er schafft es, symbolisch die Einheit der Mannschaft
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