Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
erzeugten Objekte im Hinblick auf ihre Chancen der (in)direkten Verwirklichung einen ständigen Plausibilitätstest durchlaufen. Werde beispielsweise eine Raumfahrt nach und nach realisiert, könnten die Autoren nicht mehr X-beliebiges über diese schreiben (Lem wird in seinem Aufsatz »Die SF – strukturalistisch gesehen« von 1970 diese Aussage relativieren, indem er schreibt, dass – obwohl die skizzierten technischen Parameter unmöglich, phantastisch bleiben – ein Autor sehr wohl mittels solcher Elemente ökonomische, politische, psychologische Probleme der Raumfahrt realistisch darstellen könne). Wobei sich die Frage ergibt, ob die Visionen, die über die Raumfahrt innerhalb der Science Fiction historisch gebildet worden sind, überhaupt hätten empirisch unterfüttert werden können; bestimmte Entdeckungen, die zur Präzisierung von effizienten Technologien in verschiedener Hinsicht beigetragen haben, sind nicht vorwegzunehmen. Man kann aber offensichtlich von realen Problemen zu phantastischen Hypothesen kommen, und mittels phantastischer Hypothesen können reale Probleme diskutiert werden.
Magnusson hingegen pocht auf die empirische Richtigkeit der Entwürfe, die alle SF-Autoren abzuliefern hätten. Unter Hinweis auf seinen Gewährsmann formuliert er, dass ein Autor wissenschaftlicher Phantastik wissen müsse, was Wissenschaft sei. Science Fiction sei ein »Vorposten« der Wissenschaft, sie realisiere ihre Träume mittels »Wissenschaftsrequisiten«. Der Leser sollte bei der Lektüre wissenschaftlicher Phantastik nur Fragen empirischer Ordnung stellen: Wie sei möglich, dass woanders normal ist, was unter irdischen Verhältnissen anormal bleibt? Das Argument mit der empirischen Fundierung der SF-Bilder erfolgt bei Lem in immer neuen Varianten und gipfelt in folgender Aussage: »Wenn die durch ein Werk gegenständlich festgelegte Welt eine empirische Variante der uns bekannten Realität darstellt, sie also ein Bereich ist, in dem real geltende Gesetze andere Ergebnisse und Erscheinungen zur Folge haben als die, die wir kennen, also, wenn es sich immer noch um die gleiche Welt und um den gleichen Kosmos handelt – nur in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort –, dann sind wir aufgrund dieser Voraussetzungen berechtigt, die kreativen Konstruktionen gerade mit einem empirischen Maß zu messen.« (Phantastik und Futurologie I)
Die in der Science Fiction beschriebenen Erscheinungen seien immer von dieser Welt, nur eben anders zusammengesetzt oder verortet – im Unterschied zur Horror- oder zur Fantasy-Literatur, die auf übernatürliche Ereignisse setzten und damit »kontraempirisch« seien. Ein SF-Autor tue so, als schreibe er realistische Literatur, nur eben an einem anderen Ort im Raum-Zeit-Kontinuum. Die Gestaltungskraft des Autors treffe dabei auf das begrenztere Wissen des Lesers, der ein Werk zu entschlüsseln suche. Die Science Fiction sei aber auch daran interessiert, dass durch den Leser »die Entdeckung des gemeinsamen Nenners dieser ungewöhnlichen Objekte und Prozesse mit dem, was bekannt und gewöhnlich ist«, möglich bleibt. Immerhin schränkt Lem ein: »Es ist gut, wenn eine phantastische Konstruktion aus dem Humus realer Daten erwächst. Und selbst wenn man manchmal solchen Daten Gewalt antut, sollte man sie zumindest kennen, damit man auch weiß, was man tut.« (Phantastik und Futurologie II)
Das große Feindbild von Lem (und Magnusson) ist die »Pseudo-Science-Fiction«, die gleichsam als »leeres Spiel« ohne empirisch-kulturelle Bedeutung, ohne realen Bezug, ohne Realisierungspotenzial eingerichtet sei und im besten Fall eine »intellektuelle Akrobatik« hervorbringe. Doch machen wir nun die Probe aufs Exempel und schauen uns an, wie Lem konkret SF-Autoren bewertet hat. Harsche Kritik äußert er beispielsweise an J. G. Ballard. Dieser betreibe Betrug am »programmatischen Realismus der SF«, sei als Autor »orientierungslos« und liefere keine intellektuell wertvollen Muster. Als Beleg verweist Lem auf Ballards Roman »Paradiese der Sonne« (»The Drowned World«). Er analysiert einen Konflikt zwischen einer empirisch-rationalen und einer mystisch-eschatologischen Einstellung im Roman. Beim Helden der Geschichte sei die Hingabe an die Zerstörung, die Regression zu beobachten, während andere nach Lösungen für die Katastrophe suchten. Man kann diesen Konflikt auch mit umgekehrter Akzentuierung darstellen: Er verläuft eher zwischen einer oberflächlich-leeren
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