Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
schmeißt jeglichen Witz über Bord und dekliniert auf grausamste Weise durch, wohin die zunehmende Verrohung einer Gemeinschaft führt, die zwischen drei Extremen schwankt: gefühlloser Technologie, mittelalterlicher Religionsherrschaft und zügelloser Sexualität. Wenn diese Faktoren zusammenkommen, zeigt Beckett auf, bringen sie das Schlimmste im Menschen zum Vorschein. Und so erspart er uns weder die Szene, in welcher Lucy von einem Mob in religiösem Eifer quasi auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, noch jene, in welcher der durchs Gebirge flüchtende George selbst von drei Jägern vergewaltigt wird. Es ist gerade die letztere Schilderung, welche mir auch nach mehreren Monaten noch im Gedächtnis haften bleibt: wie George als Ich-Erzähler das demütigende, schmerzhafte Erlebnis so schildert, als geschähe es einem anderen, den er distanziert betrachtet, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen:
»Aus großer Höhe sah ich zu, wie sie mich einer nach dem anderen misshandelten. Mir fiel auf, dass es schrecklich weh tat. Es fühlte sich an, als würden meine Eingeweide der Länge nach aufgerissen.«
In diesem Hin und Her aus externer, rationaler Interpretation (»Mir fiel auf …«) und dann wieder persönlichem Erleben (»Es fühlte sich an …«) wird das Geschehen auf mitreißende Weise subjektiv nachvollziehbar und gibt der Person eine lebendige Tiefe, die über konventionelle Beschreibungen weit hinausgeht.
Wir wollen nicht verschweigen, dass selbst der Schluss des Romans noch die eine oder andere Überraschung bereithält, ja sogar die Identität eines geheimnisvollen »Messias« aufgedeckt wird, welcher in jenen verzweifelten Landen eine zunehmend große Anhängerschar begeistert. Ein Messias, der ganz am Ende, als George ihn erstmals trifft, zum Glück wieder jenen überraschenden, wie ein Schlag treffenden Humor auferstehen lässt, welcher einer dramatischen Geschichte letztlich den doch noch versöhnlichen Hauch einer Komödie verleiht. Ein absolut empfehlenswertes Buch.
Uwe Neuhold
RALF BOLDT/WOLFGANG JESCHKE (Hrsg.)
DIE STILLE NACH DEM TON
Preisgekrönte Kurzgeschichten des SFCD-Literaturpreises 1985–1998 und des Deutschen Science-Fiction-Preises 1999–2012 · Verlag p.machinery, Murnau am Staffelsee 2012 · 392 Seiten · € 28,90
Seit dem Jahr 1985 verleiht der große und ehrwürdige SFCD, der Science Fiction Club Deutschland, den SFCD-Literaturpreis, der seit 1999 »Deutscher Science-Fiction-Preis« (DSFP) heißt. Ausgezeichnet werden sollen jeweils der beste Science-Fiction-Roman und die beste deutschsprachige Science-Fiction-Kurzgeschichte des Jahres. Verantwortlich für die Auswahl der Preisträger ist ein Komitee aus – derzeit dreizehn – ehrenamtlichen Mitgliedern. Zum Auswahlmodus bestimmt die Geschäftsordnung unter anderem: »1. Das Komitee liest und bewertet deutschsprachige SF, die im jeweiligen Jahr, für das der Preis vergeben wird, tatsächlich zum ersten Mal erschienen ist. 2. Die Texte müssen dem Bereich der Science Fiction oder der allgemeinen Fantastik entstammen. Im Zweifelsfall wird diese Definition zugunsten eines Textes ausgelegt.« Der Preis ist derzeit mit € 1000,– dotiert; anlässlich der Preisverleihung wird eine Laudatio gehalten.
Die vorliegende Sammlung aller bislang prämierten Kurzgeschichten ist als Ganzes großartig, fantastisch und unverzichtbar, und sie ist es aus mehreren Gründen:
Erstens enthält sie etliche tatsächlich wunderbare Stücke fantastischer Literatur.
Zweitens dokumentiert sie, was in Science-Fiction-interessierten Kreisen einmal für preiswürdig gehalten worden ist – manchmal in einleuchtender, manchmal eher schwer nachvollziehbarer Weise. Leider – und dies empfinde ich als das einzige Manko dieses Buches – fehlen die Lobreden, die vielleicht helfen könnten zu verstehen, was der Zeitgeist sich bei der einen oder anderen Wahl gedacht hat.
Drittens – und dies ist wieder rundum positiv – enthält sie neben einem Vorwort von Mitherausgeber Ralf Boldt und DSFP-Komiteemitglied Thomas Recktenwald ein außerordentlich kluges Vorwort von Wolfgang Jeschke, der zur Sache Science-Fiction-Kurzgeschichte redet. Dieses Vorwort hat es jedenfalls in sich, denn es ist alles andere als eine Lobhudelei der Form und ihrer Erfüllung durch deutschsprachige Schriftsteller, die hier zur Leistungsschau antreten.
Zum Vorwort später. Die Leistungsschau jedenfalls kann sich sehen lassen: Die Reihe der Autoren (und der wenigen
Weitere Kostenlose Bücher