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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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konnte sie nicht so ohne Weiteres die Fliege machen.
    Martin rief sich zur Räson. Genug herumgestanden. Er würde jetzt die Essensbehälter ins Auto laden und dann ab mit den ganzen Blechtöpfen zur Filiale. Der Feierabend war nicht mehr fern.
    Seine Aufgabe bei Cook für Kids war einfach. Vormittags brachte er die Behälter mit den jeweiligen Essen zu den Kindergärten und stellte sie vor den Türen ab, wo die Erzieherinnen oder der Hausmeister sie entgegennahmen. Nachmittags holte er die leeren Blechdinger wieder ab und fuhr zurück in die Firma, wo sie gereinigt wurden. Das Gleiche wiederholte sich am nächsten Tag. Und am übernächsten und so weiter.
    Das Spatzennest war eine kleine Kita, sie hatten nur um die dreißig Kinder und kochten nicht selbst. Die Erzieherinnen hier hatten die Angewohnheit, die Behälter rechts hinter dem Tor innen an die Mauer zu stellen, wo man sie von außen nicht sehen konnte. Sie hätten es ihm auch einfach machen und die Töpfe draußen deponieren können, aber wahrscheinlich hatten sie Angst, jemand würde die verbeulten dunkelblauen Dinger klauen. Was äußerst unwahrscheinlich war. Aber sei’s drum. Es war nun einmal, wie es war. Die Tiguan-Mutter hatte den Riegel nicht richtig eingehängt. Schlampig war sie also auch noch. Martin ertappte sich dabei, wie er schon wieder den Kopf schüttelte. Das musste aufhören, sonst endete er noch wie eine dieser Omas, die sich über alles und jeden aufregten. Sein Blick fiel auf die Parade der runden Gefäße, und er zählte gewohnheitsmäßig. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm auffiel, dass hier etwas nicht stimmte. An der Mauer hinter dem Tor standen nicht fünf Thermobehälter – Kartoffeln, Fleisch, Gemüse, Soße und Kompott –, sondern sechs. Hatten die Erzieherinnen sich vertan? Hatten sie in den letzten Wochen irgendwann mal vergessen, einen abzugeben, und holten dies jetzt nach?
    Martin beugte sich hinunter und sah, dass der hinterste Behälter nicht dunkelblau, sondern olivgrün war. Und er trug eine Nummer: 6.
    *
    »Ich habe eigentlich keine Lust mehr, essen zu gehen. Die neuen Entwicklungen sind mir wohl auf den Magen geschlagen.« Lara forschte in Jos Gesicht nach Anzeichen von Enttäuschung, fand aber nichts.
    »Halb so wild. Riesenappetit habe ich auch nicht.« Er stand auf und ging zur Anrichte. »Möchtest du noch Wein?«
    »Ein Gläschen. Das hilft vielleicht beim Denken.« Laras Kopf fühlte sich seltsam leicht an, wie ein Heliumballon, der sanft gen Himmel schwebte. Die Meldung von dem sechsten Thermobehälter vor dem Kindergarten heute Nachmittag hatte eingeschlagen wie eine Bombe, und inzwischen berichteten bereits sämtliche Internet-Newsportale darüber. Jo hatte den aufgeklappten Laptop auf dem Tisch stehen lassen, und fast im Minutentakt kamen Infos hinzu.
    Die erste Meldung über »Nummer sechs«, wie der Fund mittlerweile genannt wurde, hatte Lara bei ihrer Rückkehr vom Einkaufen im Auto bei MDR Info gehört. Jo war nicht an sein Telefon gegangen – im Nachhinein hatte sich herausgestellt, dass er schon vor Ort war und Fotos von der Kita schoss –, und so hatte sie ihm eine kurze Nachricht auf die Mailbox gesprochen.
    Mark, bei dem sie es gleich darauf probiert hatte, weil sie unbedingt mit jemandem darüber reden musste, war weder in seiner Praxis noch daheim anzutreffen gewesen. Stattdessen hatte Lara Anna erwischt, die mit einem erzürnten »Keine Ahnung, wo der steckt« sofort wieder aufgelegt hatte. Auf der restlichen Fahrt war Lara von Sender zu Sender gesprungen, um zu hören, ob es sich bei »Nummer sechs« tatsächlich um ein menschliches Herz handelte. Gewissheit hatte sie erst zu Hause bekommen, als Jo auf dem Weg zu ihr zurückgerufen und sie in Kurzform von den Ereignissen vor der Kita Spatzennest informiert hatte. In Behälter Nummer sechs war tatsächlich ein Herz gefunden worden, und wie Jos Quellen verlauten ließen, war sich der herbeigerufene Rechtsmediziner anscheinend auch schnell sicher gewesen, dass dieses von einem Menschen stammte. Das dazugehörige Opfer fehlte jedoch bis jetzt.
    »Prost.« Jo riss sie aus ihren Gedanken, und Lara hob ihr Glas.
    »Mehr als das trinke ich aber heute nicht, sonst bin ich zu benebelt, um nachzudenken. Mir geht immer dieser Studer durch den Kopf. Ist es sicher, dass die Leiche, die vorgestern in seinem Haus gefunden wurde, auch wirklich Frank Studer war?«
    »Davon kannst du ausgehen. Unbekannte Zwillingsbrüder tauchen nur in schlechten Krimis

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