Das sechste Herz
– studierte.
»Es ist nicht so, wie du denkst. Der Zugang ist streng reglementiert, er hat nur auf das Studienportal Zugriff, alles andere ist gesperrt, und der gesamte Kontakt wird überwacht. Und wie du dir sicher vorstellen kannst, ist Frieder sehr darauf bedacht, die Vorschriften auf das Genaueste einzuhalten.«
»Ich suche einfach nach Möglichkeiten, wie Magnus mit einem Komplizen oder Mittäter in Interaktion getreten sein kann. Wenn der oder die Täter von ihm beeinflusst oder gesteuert werden, muss er ihnen ja irgendwie Informationen zukommen lassen. Und da wäre dieses Studium doch eine gute Gelegenheit. Du glaubst also nicht, dass er darüber draußen jemanden beeinflusst …«
»Wenn er überhaupt mit der Sache zu tun hat. Ich bezweifle das nach wie vor. Welchen Nutzen sollte er davon haben?«
»Ich gebe zu, dass das ein wunder Punkt ist. Eine Rehabilitierung vielleicht? Dieser Bekennerbrief, der an die Leipziger Zeitung geschickt wurde, sprach doch davon, dass er unschuldig ist und man das endlich begreifen solle. Geroldsen studiert schließlich Jura. Sein Ziel könnte es sein, sich nach abgeschlossenem Studium selbst um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu bemühen. Hat er denn noch Kontakt zu seinem Rechtsanwalt?«
Jetzt schüttelte Agnes leicht den Kopf. »Meines Wissens nicht. Gleich nach der Verurteilung war Funkstille.«
»Irgendwelche Besucher?«
»Du bist ganz schön hartnäckig. Auch hier lautet die Antwort: Nicht dass ich wüsste. Aber das kann man leicht herausfinden. Alle werden registriert. Und wer sollte das denn bitte sein? Von der Familie lebt niemand mehr außer dem Vater, und der ist verschollen.«
»Nicht ganz.« Jetzt musste Mark lächeln, als er sah, wie Agnes ihre Trägheit abschüttelte und ihn direkt ansah. In ihren Augen funkelte es.
»Der Vater hält sich in Berlin auf. Ich habe mit ihm gesprochen.«
»Du hast was?«
»Den Vater aufgespürt. Wulf Geroldsen.« Mark fasste kurz zusammen, wie er nach Magnus Geroldsens Vater gesucht und ihn gefunden hatte und wie das Gespräch verlaufen war.«
»Unglaublich!« Agnes zog die Augenbrauen weit in die Höhe und lächelte. »Du entwickelst dich ja zu einem richtigen Detektiv!«
»Na ja.« In Mark stieg die Verlegenheit hoch. Von Lara und Jo und ihren Recherchen würde er lieber nichts sagen. Er hatte bei der Zusammenarbeit mit Lara die Grenzen seiner ärztlichen Schweigepflicht schon überdehnt, das brauchte die Kollegin nicht zu wissen.
»Warum wolltest du denn den Vater unbedingt sprechen?«
»Ich war einfach neugierig, verstehst du?« Das schien Agnes nicht zufriedenzustellen, deshalb setzte er schnell noch hinzu: »Seit dem Gutachten damals lässt mich der Fall Geroldsen nicht los. Ich hatte immer das diffuse Gefühl, dass da noch mehr dahintersteckt. Das war der erste und bisher auch der letzte Fall in meiner langjährigen Praxis, bei dem ein Siebzehnjähriger so stoisch und kaltblütig gehandelt hat. Diese Herzen-funde haben die Erinnerung in mir wieder hochgebracht, und seitdem beschäftige ich mich mit der Sache.«
»Davon hast du bisher nie ein Wort gesagt.« Agnes glich mit ihren unmerklich nach oben gezogenen Mundwinkeln der Mona Lisa. »Jetzt wird mir auch klar, warum du dich jeden Dienstag nach Geroldsen erkundigt hast und die Akte einsehen wolltest.«
»Genau deswegen.« Die Erleichterung stieg wie ein Heißluftballon in Marks Brustkorb nach oben. Tief im Innersten hatte er die ganze Zeit befürchtet, Agnes würde ihn wegen seiner ungebührlichen Wissbegierde kritisieren und sich wegen ihrer Indiskretionen gleich mit.
»Was hast du nun als Nächstes vor?«
»Kommst du an die Akte von André Mann ran?«
Er sah, wie das Mona-Lisa-Lächeln erlosch und sie kurz die Augen aufriss, und kannte die Antwort schon, bevor die Kollegin sprach.
»So gern ich dir helfe, Mark, aber das geht echt zu weit. Wenn Frieder das herausbekommt, bin ich fällig. Der schwärzt dich bei der Bundesärztekammer an und mich gleich mit. Ich habe mich auch so schon zu weit aus dem Fenster gelehnt.«
»War ja nur eine Frage. Vergiss es wieder.«
»Du solltest das Recherchieren der Polizei überlassen. Das führt doch zu nichts.« Sie berührte kurz seinen Unterarm.
»Du hast natürlich recht.« Mark trank den letzten Schluck Tee. »Ich höre jetzt auch mit dem Herumstochern im Nebel auf. Mir will nur eins nicht aus dem Kopf … Diese Therapie, die Magnus als Jugendlicher mitgemacht hat …«
»Er hat eine Therapie besucht?«
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