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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Wortschwall. Annemarie schaute verwirrt ob der Unterbrechung und blieb stehen.
    »Was ist es?«
    »Eine Akte. Eigentlich rühre ich Doktor Grünthals Schreibtisch nicht an, und auch die Putzfrau darf sich nicht an den Sachen vergreifen, aber heute … also ich habe mir gar nichts dabei gedacht …«
    »Es ist in Ordnung. Niemand wird Sie deswegen ausschimpfen.« Die Anspannung schnürte Lara die Kehle zu, sodass sie kaum Luft bekam. »Sie haben also eine Akte gefunden.«
    »Von diesem Geroldsen. Hier ist sie.« Schwester Annemarie hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und schloss jetzt einen Kasten auf, dem sie einen hellblauen Hefter entnahm. »Sie lag unter der Schreibtischunterlage. Ich wollte gar nicht hineinschauen, aber die Buchstaben vorn drauf …« Wieder stockte sie. Jo nahm ihr die Mappe aus der Hand und hielt sie so, dass Lara die Aufschrift »M. G.« sehen konnte.
    »Ich habe einen Blick hineingeworfen.« Sie rang die Hände.
    »Wir werden es niemandem verraten. Wenn alles gut geht, wird auch keiner davon erfahren. Wir kopieren den Inhalt hier und legen den Ordner wieder an Ort und Stelle, dann merkt Mark gar nicht, dass Sie oder wir dran waren.«
    »Nein!« Der Aufschrei ließ Lara zusammenzucken. »Nehmen Sie das Ding mit! Und den ganzen anderen Papierkram von diesem Geroldsen auch gleich noch!«
    »Aber wieso das denn?«
    »Stellen Sie sich vor, die Kriminalpolizei kommt auf die Idee, die Praxis zu durchsuchen! Was, wenn die diese Akten finden? Das macht Mark doch nur noch verdächtiger!«
    »Sie haben recht. Sehr kluger Gedanke.« Jo, der für kurze Zeit verblüfft gewirkt hatte, war jetzt wieder die Ruhe selbst. »Was meinten Sie eben mit anderem Papierkram?«
    »Na, das Gutachten von damals und Marks Aufzeichnungen zum Schlachter-Fall und zu Studer. Nehmen Sie alles mit!« Es klang dringlich. »Sie können es ihm ja wiedergeben, wenn er wieder draußen ist.«
    Wenn er wieder draußen ist. Die gute Seele! Lara unterdrückte den Wunsch, die Sprechstundenhilfe zu umarmen. Wenigstens Annemarie glaubte fest an Marks Unschuld.
    Sie tauschten sich noch kurz über die Ereignisse seit ihrem gestrigen Gespräch aus, dann packte die Sprechstundenhilfe die Akten in eine Stofftasche, und Jo und Lara verabschiedeten sich mit gegenseitigen Beteuerungen, sich über alle neuen Entwicklungen sofort zu informieren.
    Im Auto klingelte Laras Handy erneut. Dieses Mal war es keine bekannte Nummer. Am anderen Ende meldete sich eine barsche Beamtenstimme. Der Mann fragte, ob er mit der Journalistin Lara Birkenfeld verbunden sei. Man habe ihre Visitenkarte neben einer Leiche gefunden und forsche jetzt nach, was sie mit dem Mann zu tun gehabt hatte. Der Tote sei Wulf Geroldsen.

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    »Der Begutachtete ist nicht in der Lage, auf andere Personen Rücksicht zu nehmen. Sein eigenes Gefühlsrepertoire, insbesondere für negative Gefühle, ist beschränkt, er imitiert hier die Körpersprache anderer Personen. G. nutzt die Gefühle anderer manipulierend aus. Er kennt weder Schuldgefühle noch Verantwortungsbewusstsein. Auffällig ist sein pathologisches Lügen. Nach der Psychopathie-Checkliste von Robert D. Hare tendiert G. zur Dimension zwei, also zu impulsiver Ausprägung. Anzeichen für ein neuroanatomisches oder neurobiologisches Geschehen in früher Kindheit, also Verletzungen des Gehirns, insbesondere der Frontallappen, gibt es nicht.« Lara sah zu Jo hinüber, der vor der hellblauen Akte aus der Psychiatrie saß, während sie sich Marks Gutachten vorgenommen hatte. »Ich versteh nur die Hälfte von dem Kauderwelsch.«
    »Medizinerdeutsch. Das ist wie Juristendeutsch oder Behördendeutsch eine eigene Sprache. Das hier ist auch nicht besser.« Er tippte auf den blauen Ordner. »Obwohl deins noch verständlicher klingt. Das, was dieser Solomon notiert hat, wimmelt von Kürzeln, Fachbegriffen und Medikamentenbezeichnungen. Das werden wir nie bis Montag durchgearbeitet, geschweige denn kapiert haben. Ich müsste jedes zweite Wort nachschauen.«
    »Wir wollten ja auch nicht Geroldsens gesamte Vorgeschichte durchlesen und verstehen. Vergiss nicht, dass wir in dem ganzen Papierwust nach jemandem suchen, der in Magnus Geroldsens Kindheit eine Rolle gespielt hat oder von dessen Therapie wusste.«
    »Das hab ich auf dem Schirm. Wahrscheinlich wirst du da aber eher in deinen Unterlagen fündig. Marks Gutachten schließt ja auch die Vorgeschichte des Täters und den Prozess mit ein. Das, was ich hier habe, beginnt erst mit Geroldsens

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