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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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noch hier?« Frieder Solomon stand im Türrahmen und hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck aufgesetzt. »Sollten Sie nicht längst weg sein?« Mit gerunzelter Stirn schaute er auf seine Armbanduhr und machte dann eine wischende Handbewegung. »Agnes, hast du nicht noch zwei Vorgänge zu dokumentieren? Ich hatte darum gebeten, dass sie um vierzehn Uhr auf meinem Tisch liegen.«
    »Das tun sie längst. Sonst säße ich nicht hier.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde bekam Solomons Gesicht einen einfältigen Ausdruck, und Mark verkniff sich ein Grinsen. »Ich wollte gerade gehen.« Solomon war ein Despot, aber Agnes schien ihn gut im Griff zu haben.
    »Dann ist es ja gut.« Der Klinikleiter machte auf dem Absatz kehrt und rauschte hinaus.
    Agnes kniff ein Auge zu. »Er ist wütend wegen der Entweichung. Fürchtet wahrscheinlich, dass man ihm das anlastet. Schön, dass du mal etwas mehr Zeit hattest. Wir sollten das wiederholen. Auf geht’s.« Sie reichte Mark seinen Mantel und hielt ihm die Tür auf.

9
    » La Petite France . Das kleine Frankreich.« Lara zog ihre Hand unter Jos angewinkeltem Arm hervor und lächelte. »Warst du hier schon mal?«
    »Einmal, letzte Woche. Es wird dir gefallen.« Jo drückte die Tür auf und ging voran. Warme Luft umfächelte ihre Gesichter, und das allgegenwärtige Raunen leiser Gespräche durchwebte den Raum. »Ich habe uns einen Tisch reserviert.« Er wartete, bis Lara sich aus ihrem Mantel geschält hatte, und brachte die Sachen zum Kleiderständer.
    Das Lokal war voll. Aber so war es oft, wenn neue Restaurants in Leipzig öffneten. Jeder wollte sie testen. Waren sie gut, kam man wieder, wenn nicht, verschwanden sie so schnell von der Bildfläche, wie sie gekommen waren. Nachdem sie die Karte studiert und ihre Bestellung aufgegeben hatten, hielt Lara es nicht länger aus.
    »Wie läuft es denn in der Redaktion?«
    »Eigentlich alles wie immer.« Jo grinste breit, kostete den Wein und nickte dem Kellner zu einzuschenken.
    Er wollte sie auf die Folter spannen. Lara nahm auch einen Schluck und las das Etikett. Auther Auxerrois, 2005 . Er schmeckte spritzig und hatte eine angenehme Säure. »Jetzt tu doch nicht so! Hattest du nicht vorgestern am Telefon gesagt, es gäbe allerhand zu berichten? Raus damit, los!« Sie versetzte Jo einen spielerischen Stoß gegen den Oberarm, und er grinste breiter. Dann beugte er sich nach vorn, und sein Gesicht wurde ernst.
    »Wir haben einen ziemlich krassen Fall.« Auch Lara beugte sich jetzt nach vorn. Jo hatte seine Lautstärke gedämpft, damit niemand an den umliegenden Tischen mithören konnte, was er zu erzählen hatte.
    »Am Montag kam ein Brief bei uns an. Er enthielt ein Schreiben und einen Lageplan, auf dem drei Kreuze eingezeichnet waren. Darin stand sinngemäß, dass an den gekennzeichneten Stellen interessante Informationen zu finden seien. In der Redaktionskonferenz hat Tom entschieden, den neuen Praktikanten am Dienstagvormittag hinzuschicken.«
    »Das klingt wie aus einem Agentenfilm.«
    »Zuerst waren wir uns auch nicht sicher, ob wir das überhaupt ernst nehmen sollen. Wäre ja nicht der erste Scherz, den sich jemand mit der Tagespresse erlaubt. Aber du kennst ja Tom. Er hat Angst, es könnte ihm etwas durch die Lappen gehen.«
    »Leider zu gut.« Lara dachte an ihre Zeit in der Redaktion zurück. Im Nachhinein verklärte sich manches, weil man Dinge einfach vergaß, die einen geärgert hatten.
    »Leider stellte sich heraus, dass es kein Gag war. Patrick – so heißt der Praktikant – ist zu dem Grundstück gefahren, ein stillgelegtes Fabrikgelände der VEB Metallwaren Leipzig .«
    »Das kenne ich. Es wurde von den Einheimischen früher ›Eisenkönig‹ genannt. Was hat er dort gefunden?« Wenn Jo so geheimnisvoll tat, musste es etwas Bedeutsames gewesen sein. Lara nippte an ihrem Wein und vermisste für einen Augenblick ihre »Halluzinationen«. Seit Monaten hatte sie keine einzige Imagination mehr gehabt.
    »Drei altmodische Thermobehälter, ziemlich groß.« Jo sah sich im Restaurant um und sprach noch leiser. »In jedem befand sich ein menschliches Herz.«
    »Ein was?« Lara hatte ganz genau verstanden, was Jo gesagt hatte, und doch weigerte sich ihr Verstand, die Botschaft zu akzeptieren.
    »Sie waren tiefgefroren. Patrick hielt das Ganze für tierische Abfälle und hat die drei Behälter mit in die Redaktion gebracht. Nachdem fünf Leute, darunter auch ich …«, Jo zog kurz die Mundwinkel hoch, »ihren Senf dazu abgegeben

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