Das sechste Opfer (German Edition)
Tod des Bankmanagers Andreas Werner, der vor wenigen Wochen bei einem Unfall von der Straße abgekommen und mit seinem Auto in den Fluss gestürzt war.
»Hast du davon schon gehört», fragte sie mich, mit einen seltsamen Klang in ihrer Stimme.
»Ja, habe ich. Er hat bei einer Betriebsfeier zu viel getrunken und ist danach mit überhöhter Geschwindigkeit in den Fluss gerauscht. Er soll 1,2 Promille im Blut gehabt haben.«
»Nehmen wir einfach mal an, dass es kein Unfall war, dann hättest du eine Geschichte.«
Jetzt lachte ich. »Wieso sollte es kein Unfall gewesen sein?«
»Was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass der Mann weder trinkt noch raucht und ein sicherer Fahrer ist? Und dass seine Aktentasche, die er immer bei sich hatte, verschwunden ist?«
»Dann wäre das schon eher eine Geschichte.«
Sie schien diese Angelegenheit viel ernster zu nehmen als ich, denn sie wurde nachdrücklicher. »Geh doch einfach mal davon aus, dass mehr dahinter steckt als ein banaler Unfall und mach ein Buch daraus. Es wäre ein grandioser Aufhänger für eine Insiderstudie darüber, wie viel Druck auf einem Mann in seiner Position lastet. Oder über Fluch und Segen von Wirtschaftswundern, oder was weiß ich. Du bist der Experte.«
Ohne Argwohn dachte ich über den Vorschlag nach. Und tatsächlich fand ich ihre Idee auf einmal gar nicht mehr so abwegig. Es wäre tatsächlich etwas völlig anderes, einmal eine spannende Geschichte zu erzählen, statt mit nüchternen Zahlen zu jonglieren. Ich griff nach dem Zeitungsartikel. »Kann ich den mitnehmen?«
»Klar. Als ewiges Andenken an unser geheimes Abenteuer.«
Erstaunt sah ich auf, doch sie hatte weder bitter noch enttäuscht geklungen. Sie lächelte mich einfach nur an. Ein Lächeln, in dem ich eine Spur von Anspannung zu sehen glaubte.
»Danke.«
Plötzlich kam sie hinter dem Tresen hervor. »Warte!«
Sie ging zu den Schreibutensilien, die von den ungeduldigen Kinderfingern durchwühlt unordentlich im Regal herumlagen, und kam mit einem kleinen Notizbuch zurück. »Hier, das schenke ich dir. Für deine Notizen für zukünftige Romane oder was auch immer du darin festhalten willst.«
Ich nahm das Buch in die Hand, gab es ihr aber sofort wieder zurück. »Ich hätte gerne noch eine Widmung drin.«
Sie lachte kurz. »Was soll ich reinschreiben?«
»Vielleicht: Für Peter. Auf dass er ein großartiges Werk verfassen wird. Und den Pulitzerpreis dafür bekommt. Oder so ähnlich.«
»Den Pulitzerpreis? Okay.«
Sie schrieb und ich beobachtete, wie dabei ihre schmalen Hände über das Papier strichen. Vor kurzem noch hatten diese Hände zart über meine Brust gestreichelt und mich fast wahnsinnig gemacht. Ihr Duft erinnerte mich daran, wie sie in meinen Armen vor Erregung gebebt hatte.
»Ich hab noch was anderes geschrieben, aber das sollst du erst lesen, wenn du wirklich mit dem Buch anfängst.«
Ich nahm das Büchlein. »Schon gut. Ich hab den Wink verstanden.«
Ich verabschiedete mich von ihr und verließ das Geschäft.
Es fing an zu tröpfeln, als ich auf die Straße trat.
Sobald ich außer Sichtweite des Ladens war, öffnete ich neugierig die erste Seite des Notizbuches und las Claras Widmung: »Für Peter, der den Mut gefunden hat, das Richtige zu tun und dafür auf ewig einen Platz in der Literatur finden wird. Und in meinem Herzen.«
Als ein Regentropfen auf das Buch fiel, schloss ich es schnell wieder. Clara war unsere Trennung offenbar doch nicht so leicht gefallen, wie es eben den Anschein gehabt hatte, Ich lief durch den stärker werdenden Regen nach Hause. Ich liebte Nicole, und trotz aller Probleme würden wir zusammenbleiben. Bis dass der Tod uns scheidet. Allerdings durfte Nicole niemals von meinem Techtelmechtel mit Clara erfahren. Clara hatte versprochen, das Geheimnis für sich zu behalten.
Und ich vertraute ihr.
Zu Hause angekommen, versteckte ich das Notizbuch mit Claras Widmung im untersten Schubfach meines Schreibtisches unter einem Katalog für Jagdgewehre, den ich hin und wieder bestellte. Eigentlich war ich kein Freund der Jagd, aber manchmal hatte ich einfach das Gefühl, dass zu einem richtigen Mann auch eine richtige Waffe gehörte, und ich orderte den Katalog. So wusste ich wenigstens, worin der Unterschied zwischen einer Heckler & Koch und einer Sauer 97 bestand, und wie viel eine Ritterbusch kostete. Wie man einen Elektroschocker benutzte, um ein Wildschwein aus nächster Nähe ruhigzustellen, und dass ich höchstwahrscheinlich schneller am Besteckkasten
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